Neuer deutscher Wein-Bau

Ein Artikel von Uwe Kauss | 10.11.2011 - 11:52
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Neue Wein-Architektur über Würzburg: Das fränkische Weingut Ludwig Knoll hat mit seinem „Weinwerk“, einem Kubus aus Beton,grünem Glas und Eichenholz, in der berühmten Lage Stein einen Maßstab des neuen Wein-Baus gesetzt © Fotos von Kauss und Weingut

Die Architektur zum Thema „Wein“ begann dort, wo prächtige Paläste den ganz großen Wein verkörpern: im Bordelais. Mitte des 16. Jahrhunderts wurde mit Château Haut- Brion nahe der Stadt Bordeaux erstmals ein Schloss erbaut, dessen Zweck nicht die herrschaftliche Repräsentation, sondern die Weinproduktion war. Bereits im 19. Jahrhundert setzten die Eigentümer von Château Cos d‘Estournel erstmals die Barrique-Reihen im Keller in Szene. An Deutschland ist diese Art der Repräsentation des Weins bis zum Ende des 20. Jahrhunderts weitgehend vorübergegangen. Die Form folgte der Funktion. Zudem liegen die meisten Betriebe in den engen Straßen kleiner Dörfer und Städte, was auch den Repräsentationseifer der Eigentümer bremste: Großzügige Pracht geht da einfach nicht.

Gute Wein-Architektur rechnet sich

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Aussicht voller Wörter am Fensterim Würzburger Weingut am Stein © Fotos von Kauss und Weingut

Erst Ende der 1990er Jahre begannen deutsche Winzer, ihre Betriebsphilosophie auch im Weingut selbst abzubilden. Vorzeigeprojekte sind beispielsweise das im Staatsbesitz be. ndliche Weingut Schloss Wackerbarth in Dresden, das nach Jahrzehnten der SED-Herrschaft 2002 liebevoll restaurier t und teils modern gestaltet wurde, sowie der in den Berg hinein gebaute Steinberg-Keller der Staatsweingüter Kloster Eberbach im Rheingau. Er ging 2008 in Betrieb. „Beide Projekte haben gezeigt, dass sich gute Architektur für die Eigentümer rechnet“, betont Dr. Michael Coridaß, Hauptgeschäftsführer der Architektenkammer Rheinland- Pfalz. Er rief 2007 mit seiner Kammer den ersten und bislang einzigen deutschlandweiten Wettbewerb ins Leben: den alle drei Jahre ausgeschriebenen Architekturpreis Wein. In den Jahren zuvor organisierte er vier Symposien, um das Thema bei Architekten und Winzern bekannt zu machen. Seine Botschaft: „Gutes Bauen ist nicht teurer als schlechtes Bauen.“ Doch die meist in Klein- und Familienunternehmen strukturier ten deutschen Betriebe investierten jahrzehntelang ausschließlich in die Qualität ihres Weines. Architektur blieb Nebensache. „Das ist ehrlich und genau richtig“, betont Ludwig Knoll vom Weingut am Stein in Würzburg. Er gehört zu den Pionieren des neuen deutschen Wein-Baus, der zugleich Abbild einer neuen Winzergeneration ist: Die gut ausgebildeten jungen Winzer haben fast alle im Ausland gearbeitet – und so Güter kennen gelernt, die sich nicht nur als Weinberg und Keller verstehen, sondern als komplexe, durchdacht gestaltete Komposition von Produktion, Lagerkeller, Verkostung, Verkauf, Gar ten und Umgebung. Berühmte kalifornische Beispiele sind etwa das 1998 puristisch aus Elementen des Kubismus und Minimalismus gestaltete Dominus Estate oder Opus One mit seiner Verbindung aus Postmoderne mit Klassik, das 1992 errichtet wurde.

Ein Weinwerk hoch über Würzburg

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Der Wein im Kreis: In der Vinothek des rheinhessischen Bio-Weinguts Julius scheinen dieWeine zu schweben. Die sanierte Bruchsteinwand bildet dazu einen guten Kontrast © Fotos von Kauss und Weingut

Ludwig Knolls Gut liegt direkt in der berühmten Weinlage Würzburger Stein, mit einem wunderbaren Blick auf die Dächer und Türme von Würzburg. Mit dem „Weinwerk“ hat sich Knoll im Jahr 2005 in exponierter Lage vom Architektenbüro Hofmann, Keicher, Ring eine 10 auf 10 Meter große Kubus-Konstruktion aus grünem Glas und Eichenholzpfählen als Verkostungs- und Tagungsraum bauen lassen. Die Farben sollen den Charakter des Weinbergs abbilden, und je nach Lichteinfall ändern sich das innere und äußere Erscheinungsbild. Zudem entwarfen die Architekten ein ebenfalls quadratisches Gästehaus, das vom Mauerwerk bis zum Holzfußboden in einer horizontalen Struktur gestaltet ist. Für die Außenmauern verwendeten sie Muschelkalk, der aromatisch auch Knolls Weine prägt. „Das Gebäude ist eine Abbildung der Knoll- Weine: klare Struktur, nichts Aufgesetztes, nichts Verspieltes; eigenständig und kompromisslos“, erklären die Architekten ihren Gestaltungsansatz. Knoll hat das Gut zugleich von Grund auf modernisieren lassen. Die Traubenverarbeitung geschieht nun unter einer Schirmkonstruktion im Freien. Zudem hat er ein geothermisches System zur Nutzung von Erdwärme installier t, das die Gebäude heizt und zugleich die Edelstahltanks bei der Gärung kühlt. Mit drei deutschen Architektur- Preisen ist das Weingut mittlerweile ausgezeichnet worden. „Jeden Tag führen wir interessier te Winzer und Architekten durch den Betrieb“, berichtet Ludwig Knoll. Mittlerweile sei der Andrang so groß, dass er immer wieder absagen müsse. „Wir machen Wein, und das ist unsere Kernaufgabe“, betont er.

Eine Genossenschaft und ihr Weinreich

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Nur eine neue Vinothek war geplant, dann wurde komplett neu gebaut: Das „Weinquartier“des rheinhessischen Gutes Pauser bietet Vinothek, Veranstaltungsraum und einen Fasskeller © Fotos von Kauss und Weingut

Nur wenige Kilometer von Würzburg entfernt, liegt der Weinort Sommerach. Dort hat ebenfalls das Büro Hofmann, Keicher, Ring das Gebäude der ansässigen Genossenschaft, den Winzerkeller Sommerach, neu und ambitioniert gestaltet. Zehn Familien leben im Haupterwerb von ihren abgeliefer ten Trauben, 80 Familien betreiben den Weinbau als Nebenerwerb. Das „Weinreich“ entstand 2005 als Teil einer mittelfristig angelegten Strategie zur Qualitätssicherung. „Intensive Pflege der Weinberge, klare Anbau-Vorgaben und ein Bonitätssystem für Traubenqualität waren der erste Schritt. Darauf folgte die Investition in moderne Keller technik und damit für den Umbau des Produktionsgebäudes. „Wir wollten mit unserem Neubau nicht mehr Wein verkaufen“, erzählt der Vorstandsvorsitzende Frank Dietrich, „aber was hilft es uns, wenn wir anerkannte Qualität produzieren, aber keiner merkt‘s?“ Nach einem Architektenwettbewerb, an dem sich acht Büros beteiligten, erhielt Hofmann, Keicher, Ring den Zuschlag, das Gebäude aus den 1970er Jahren umzubauen. „Uns war eine moderne, aber authentische Gestaltung sehr wichtig. Wir wollten keine aufgesetzt mediterrane Erlebniswelt“, betont Dietrich. Vor allem die österreichischen Güter seien eine große Inspiration gewesen, etwa die Bauten von Tement und Polz: „Die haben uns gezeigt, was möglich ist.“ Nun dominier t regionales Baumaterial wie Eiche und Muschelkalk das Gebäude. In der hellen, übersichtlichen und mit vielen Details ausgestatteten „KostBar“ können Gäste die Weine probieren und regionale Spezialitäten mit dem Wein genießen. Die Sommerbar im Hof erinnert ein wenig an die „Strand in der Stadt“-Konzepte in Großstädten. Den Barrique- Keller haben die Architekten so beleuchtet, dass „der Besuch des Kellers durchaus etwas Märchenhaftes vermittelt“, sagt Frank Dietrich. Insgesamt 2,5 Millionen Euro investierten die Genossen. „Der Umbau hat klar zur Umsatzsteigerung geführt“, resümiert er nun, „wir verkaufen zudem mehr Wein aus dem gehobenen Segment. Heute will niemand unserer Mitglieder mehr zurück.“

Bauhaus mitten in der Pfalz

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Bauhaus meets Jahrtausendwende:das pfälzische Weingut Kreutzenberger © Fotos von Kauss und Weingut

Kindenheim, Pfalz. Das Ortsbild des Weinortes ist geprägt, wie bei den meisten Dörfern hier, von Kalkstein, Fachwerk und Fertighaus- Idyll. Ein strahlend weißes Gebäude am Ortseingang ist anders: symmetrische Flächen, Viertelkreis, Flachdach und Kubus. Es sind die Gestaltungsprinzipien des Bauhauses, die das Weingut der Familie Kreutzenberger zum Baudenkmal gemacht haben. „Mein Großvater Emil hat das Gebäude 1928 vom Architekten Marcel Prott bauen lassen“, erzählt Winzer Jochen Kreutzenberger, „beide waren überzeugt von den Ideen der Neuen Sachlichkeit.“ Damals zog das Weingut aus der engen Ortsmitte hinaus auf die Anhöhe. Ein Solitär im Bauhaus-Stil entstand, inmitten der Weinberge. Doch Kindenheim wuchs, und heute ist der Familienbetrieb, der Wein auf 6 Hektar erzeugt, von Einfamilienhäusern um geben. 2007 erwachte der Geist der Moderne zum zweiten Mal: Das renovierungsbedürftige Betriebsgebäude, das viel später gebaut und immer wieder erweitert worden war, ließ Kreutzenberger abreißen und neu bauen. Gestaltet hat es der Oppenheimer Architekt Prof. Heribert Hamann, der den Winzer bereits vor 16 Jahren kennen gelernt hatte. Nun hat er das neue Betriebsgebäude entworfen und dabei behutsam die klassische Moderne mit der Architektur der Jahrtausendwende verbunden. Das ebenfalls weiß und symmetrisch gestaltete Gebäude bietet eine Dachterrasse mit 180-Grad-Ausblick über die Pfälzer Weinberge vom Odenwald bis zu den Schornsteinen der BASF in Ludwigshafen.

Kunstwerk und Handwerk verbinden sich im Weingut

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Viel Platz für Veranstaltungen mit Aussicht:das Obergeschoß des „Weinquartiers“ von Familie Pauser © Fotos von Kauss und Weingut

„Wir haben allein zwei Jahre geplant“, erinnert sich Jochen Kreutzenberger. Denn er bedachte sämtliche Arbeitsabläufe, modernisierte die Kellertechnik, kaufte eine neue Traubenpresse und temperaturkontrollier te Edelstahltanks. Doch das neue Gebäude sollte auch „etwas Besonderes sein“, obwohl es nur als Betriebsfläche genutzt werden würde. Heute arbeitet er auf einem roten Fußboden, der sich als Stilelement durch den Neubau zieht. Das Rot spielt in der Farbenlehre des Bauhauses eine wichtige Rolle als eine der Grundfarben.

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Modern, überraschend und trotzdem fränkisch:die „KostBar“ des Winzerkellers Sommerach in Franken © Fotos von Kauss und Weingut

Die Kombination des roten Bodens mit den in traditionellem Kalkstein verputzten Wänden, den blitzenden Stahltanks und der intelligent gesetzten Beleuchtung macht deutlich: Hier wird Wein auf moderne Weise erzeugt. Ein langer Gang, der Kelterhaus und Ausgang verbindet, ist zugleich Flaschenlager. Die symmetrische Anordnung der Flaschen ist zugleich ein Gestaltungselement – Kunst und Handwerk verbinden sich. Doch viele Winzer suchen nicht den großen Wurf. Sie lassen einfach ihre Umgebung neu gestalten, damit sie wieder ins Heute der Eigentümer und der Kunden passt. Ein solches Kleinod hat die Bobenheim-Roxheimer Architektin Christiane Jeromin dem rheinhessischen Weingut Julius in Gundheim geschaffen. Ihre Vinothek wurde 2010 beim Architekturpreis Wein ausgezeichnet. Der Kreis, der sich als Grundmotiv durch den Raum zieht, hat sie den CO2-Bläschen entlehnt, die sich in Sekt und Wein befinden. So sind Wände und Weinregal von Kreisöffnungen durchzogen. Die alte Bruchsteinwand an der Längsseite kontrastiert die fast schwebende Weinpräsentation und die weißen, elegant gerundeten Einbauten. Von außen ist der Verkostungsraum nicht sichtbar – erst wenn die Tür des Seitengebäudes geöffnet wird, betritt der Gast die neue Weinwelt des Guts.

Spannende Gestaltung weckt Kunden-Erwartungen

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Der Barriquekeller des Sommeracher Winzerkellers:Das Licht inszeniert die Fässer und damit den Wein © Fotos von Kauss und Weingut

Einen ähnlichen Weg ist auch das fränkische Weingut Max Müller I gegangen. Der eingesessene Betrieb liegt inmitten der hübschen, barocken Altstadt von Volkach, einem beliebten Ausª ugsziel für Tagesgäste und Touristen. Vor drei Jahren ließen sie ihren 1991 von den Eltern übernommenen Betrieb aus den 1960er Jahren vom Architektenbüro Reinhold Jäcklein gründlich durchlüften. „Wir wollten das Gesamtbild unserer Arbeit nach außen tragen“, berichtet Max Müller, „zuvor waren wir ein klassischer Gemischtwarenbetrieb mit Weinbau, Küferei sowie einem Verkauf von Dekorationsartikeln.“ So entwarf das Architektenbüro Jäcklein einen neuen Verkaufs- und Verkostungsraum mit Büro. Mit durchdacht gesetzten, minimalistischen Mitteln und sorgfältiger Materialauswahl haben die Architekten den Wein neu und edel in Szene gesetzt. „Von den älteren Kunden, die die fränkische Gemütlichkeit so liebten, haben wir keinen verloren“, freut sich Müller. Doch ihm und seiner Frau waren wichtig, dass „es nicht künstlich wirkt. Der Raum sollte repräsentativ wirken – aber er musste zu uns passen“. Nach der Eröffnung beobachtete er, wie Architektur wirkt: „Die Kunden entwickeln in der neuen Umgebung eine ganz andere Erwartungshaltung an unsere Produkte als früher“, betont er. Sein Fazit: „Hochwertige Weine werden besser verkauft.“

Die Umgebung bestimmt die Architektur

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Mehr Platz, mehr Licht, elegante und moderne Flächen aus Holz und Glas: Im altenOrtskern ist es eng – also wurden nur die vorhandenen Räume wie die Vinothek erneuert © Kauss

Doch nicht nur in der Enge wird umgebaut – wo Platz ist, entsteht immer wieder Überraschendes und Neues. Beispielsweise in Rheinhessen: Das Weingut Pauser in Flonheim wollte zunächst nur eine neue Vinothek bauen – entstanden sind schließlich mit dem „Weinquartier“ ein moderner, einladender Verkostungsraum aus Stahl, Glas, Holz und Stein mit Sofas und bequemen Sitzpolstern, im Obergeschoß ein großer Gastraum mit Terrasse zum Vermieten, ein mit kräftigen Farben gestalteter Fasskeller sowie eine neue Betriebshalle, deren Fassade mit Corten-Stahl verkleidet ist – die Rost-Optik ist schon von weitem ein echter Hingucker. „Corten ist ewig haltbar und harmonier t hervorragend mit den Farben Rheinhessens“, erzählt Architekt Eichler. „Die völlig freie Lage der Gebäude außerhalb des Or tes und die umgebende Landschaft haben die Architektur bestimmt“, erläutert er seinen Gestaltungsansatz.

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Rainer & Monika Müller (Weingut MaxMüller): „Architektur muss zu uns passen“ © Kauss

Für Dr. Michael Coridaß sind all diese Projekte ein gutes Signal: „In den Diskussionen um Dorfentwicklung in den vergangenen Jahrzehnten haben Weingüter immer eine wichtige Rolle gespielt. Nun gibt es immer mehr Projekte, denen mit der Reduktion aufs Wesentliche ein wichtiger Befreiungsschlag gelingt.“ Er fordert „mehr Umbauten statt Neubauten“ – auch, um der Zersiedlung der Landschaft entgegenzutreten. Das Konzept, das gedanklich der neuen deutschen Weinarchitektur zugrunde liegt, beschreibt er so: „Aufräumen, abreißen, Luft schaffen•“

wein.pur Adressen

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Sandra und Ludwig Knoll müssen immer wieder Gruppenabsagen, die nur die Architektur besichtigen wollen © Kauss

 Weingut am Stein Mittlerer Steinbergweg D-97080 Würzburg 5 Tel. +49 931/25 80 8 www.weingut-am-stein.de mail@weingut-am-stein.de Winzerkeller Sommerach Zum Katzenkopf 1 D-97334 Sommerach/Main Tel. +49 93 81/80 61 0 www.winzerkeller-sommerach.de info@winzer-sommerach.de Weingut Kreutzenberger Hauptstraße 5 D-67271 Kindenheim Tel. +49 6359/42 66 www.kreutzenberger.com jochen.kreutzenberger@t-online.de Weingut Max Müller I Hauptstraße 46/Untere Altstadt D-97332 Volkach Tel. + 49 9381/12 18 www.max-mueller.de info@max-mueller.de Weingut Pauser Im Baumfeld 40 D-55237 Flonheim Tel. +49 6734/87 64 www.weingut-pauser.de info@weingut-pauser.de Weingut Julius Hauptstraße 5 D-67599 Gundheim Tel. +49 6244/90 52 18 www.weingut-julius.de info@weingut-julius.de