Regen, Reife und Barrique

Ein Artikel von Uwe Kauss | 22.05.2016 - 00:15
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Hier hat der Silvaner Tradition: Weinberge bei Castell in Franken. © DWI

Wieder so ein Jahrgang: Bei der Ernte 2014 war vieles anders als 2013, aber ähnlich herausfordernd, nervenzehrend und schwierig. Der Winter reduzierte sich auf zwei Tage im November, ansonsten war es zwischen Dezember und März viel zu mild. Die Trauben trieben so früh wie noch nie in der Geschichte der Aufzeichnungen aus, die Reben blühten ebenfalls extrem früh. Der Sommer gestaltete sich heiß und sonnig – die Trauben entwickelten sich prächtig mit fast zwei Wochen Vorsprung im Vergleich zum Jahresmittel.

Die Winzer hofften leise auf einen großen Jahrgang im Herbst. Dann kam der Regen: Im August regnete es etwa in Franken doppelt so viel wie normal – 100 bis 140 Liter pro Quadratmeter waren keine Seltenheit. In der Folge kam es zu frühzeitiger Fäulnis. In der letzten Augustwoche fielen noch einmal 75 Liter Regen, Anfang September weitere 40 Liter pro Quadratmeter. In Würzburg zerstörte am 11. September kräftiger Hagel viele Trauben. Die Ernte wurde zur Jagd: In vielen Betrieben arbeitete jeder irgendwie verfügbare Erntehelfer von frühmorgens bis in die Nacht, um zu retten, was vor Fäulnis, Fliegen- und Insektenfraß zu retten war.

Strenge Selektion und vorausschauende Weinbergsarbeit retteten den Qualitätsbetrieben ihren neuen Jahrgang: „Diese Qualitäten mussten unsere fleißigen Lesehelfer mit mehrfachen selektiven Vorlesen und mit sorgfältiger Handlese hart erarbeiten. Drinnen wie draußen waren alle im wahrsten Sinn des Wortes Tag und Nacht beschäftigt, um die engen Zeitfenster des günstigen Lesewetters zu nutzen“, schrieb etwa Horst Kolesch, Direktor des Juliusspitals, in seinem Erntebericht. Es ist die Erfahrung der vergangenen Jahre: Nur Weingüter, die schlagkräftig und flexibel organisiert sind, in große Ernte-Mannschaften und akribische Weinbergsarbeit investieren, können unter solchen Bedingungen außergewöhnlich gute Weine erzeugen.

 

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© Bürgerspital

Die „Silvaner.Trophy 2015“ belegt das für den Jahrgang 2014 eindeutig: Nur die renommierten VDP-Betriebe wie Juliusspital und Bürgerspital sowie das Weingut am Stein in Würzburg, Horst Sauer in Escherndorf, Wirsching in Iphofen, Fürst Löwenstein in Kleinheubach oder das Fürstlich Castell‘sche Domänenamt in Castell konnten in der Trophy-Verkostung ganz oben landen.

Für viele der kleineren Betriebe war es schon ein echter Erfolg, wenn sie eine gute Qualität in den Keller brachten. Aufgrund des Regens begannen viele Betriebe, sehr früh zu ernten – zu früh. Aber wenn das Risiko zu groß wird, einen Totalausfall zu erleiden, entscheiden sich viele Winzer für den sicheren Weg. In der Verkostung war die fehlende Reife oft und deutlich zu schmecken. Jeder Jahrgang schmeckt anders, sagt die viel zitierte Binsenweisheit im Weingeschäft. Diesmal stimmte sie.

Zwei Silvaner-Trends

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© Castellsches Domänenamt

Trend eins: Einige der Güter haben ihren Weinen ein Jahr Flaschenreife gegeben und nun den Jahrgang 2013 eingereicht. Die meisten haben mit hervorragenden bis exzellenten Bewertungen abgeschnitten. Die besten Silvaner brauchen Reifezeit und die geben die Güter ihnen nun – eine gute, sinnvolle Entwicklung. Denn viele der Weine in der Verkostung waren viel zu frisch, um sie umfassend einordnen zu können. Denn die Verkoster können nicht die mögliche Zukunft bewerten, sondern ausschließlich, was sie am Gaumen und auf der Zunge schmecken. Daher war es für das Verkostungsteam eine interessante Überraschung, dass der blind am besten bewertete Wein aus dem Jahrgang 2012 stammte.

Trend zwei: Manche Betriebe haben ihren Silvaner traditionell im Großen Holz, im 500-l-Fass oder im Barrique ausgebaut. Das Ergebnis ist nicht immer geglückt. Denn der Silvaner ist ein Gentleman, kein Kraftbolzen. Er entwickelt zarte, feine, im besten Fall komplexe Noten. Die Intensität des Holzes erzeugt dazu einen wuchtigen Kontrast. Über 20% der eingeschickten Weine sind im Holz der drei Varianten gereift. Einige Silvaner schafften mit dieser Ausbautechnik ein tolles Niveau, doch bei vielen Weinen erreichten die Winzer das Gegenteil – vor allem, wenn das Lesegut mit Botrytis in den Keller kam: Marmelade, Honig, Toast, Leder und dazu ein wenig Silvaner. Das entspricht nicht dem Charakter der Sorte; die Grenzen des Burgunds verlaufen nicht am Mainufer. Dennoch ergab 2014 trotz des miesen Wetters ein hervorragendes Ergebnis. Kleine Menge, große Qualität: Akribisch arbeitende Betriebe zeigten 2014, warum es lohnt, sich richtig viel Arbeit zu machen. Die besten rheinhessischen und fränkischen Silvaner beweisen das eindrucksvoll.

Weltklasse mit Kontrastprogramm

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© DWI

Jede Verkostung entwickelt eine eigene Dynamik, doch das Ergebnis spiegelt genau die Erfahrungen der Winzer. Die Betriebe sandten weniger Flaschen ein, weil sie entweder die Qualität nicht für die Verkostung geeignet hielten oder jede einzelne Flasche im Verkauf benötigen. Denn die Erntemenge blieb 2014 erneut gering, manchmal sogar extrem gering. Doch Betriebe, deren Struktur, Philosophie und Arbeitsweise übers ganze Jahr die bestmögliche Qualität im Fokus haben, konnten trotz sehr schwieriger Erntebedingungen hervorragende bis großartige Silvaner mit tollem Potenzial produzieren. Doch der Aufwand dazu war oft enorm. Wir finden, die Mühe hat sich gelohnt.

Auch der Silvaner braucht Reife, damit er zur Weltklasse aufsteigt. Wie im vergangenen Jahr erreichte das international renommierte fränkische Weingut von Horst Sauer aus Escherndorf den ersten Platz mit diesmal 95 Punkten – Weltklasse. Es ist die erst seit einiger Zeit angebotene Beerenauslese aus der Ersten Lage Escherndorfer Lump des Jahres 2012. Der für Silvaner eher ungewöhnliche Ausbau im gebrauchten Barrique war die richtige Entscheidung: Der Süßwein mit rund 208 Gramm Restzucker überzeugte alle drei Verkoster mit seiner Kombination aus dunklen Noten, klarer exotischer Frucht, feiner Kühle, sehr schöner Komplexität, höchster Präzision und fast perfekter Struktur. Nur ganz knapp dahinter blieb ein Wein desselben Weinguts aus derselben Lage: Sauers 2014 Escherndorfer Lump Auslese mit 133 Gramm Restzucker lag am Ende bei 94 Punkten.

 

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Lebendige Tradition: Doppelstückfässer imKeller des Würzburger Bürgerspitals © Bürgerspital

Das Kontrastprogramm kam dreimal aus Würzburg – einmal restsüß, zweimal richtig trocken. Jeweils 93 Punkte erreichten das Bürgerspital Würzburg mit seinem im Großen Holzfass ausgebauten Großen Gewächs mit fünf Gramm Restzucker aus der Traditionslage Würzburger Stein, das Juliusspital Würzburg mit seiner 2014 Auslese aus derselben Lage mit 108 g Restzucker und das Weingut am Stein von Sandra und Ludwig Knoll mit seinem Großen Gewächs vom Stettener Stein mit zwei Gramm Restzucker, das im 450- und 500-l-Holzfass ausgebaut wurde.

Damit teilen sich Bürgerspital und Weingut am Stein die Auszeichnung als Bester trockener Silvaner. Auch dahinter lagen die Bewertungen eng zusammen. Interessant ist das Abschneiden der „Erste Lage“-Weine vom Juliusspital und dem Weingut am Stein ebenfalls vom Würzburger Stein. Der VDP geht nun den Weg der „herkunftsgeprägten Weinkultur“ zur höchsten Weinqualität zum höchsten Preis aus möglichst kleinen, nach der Bewertung der Betriebe höchstwertigen Parzellen eines Weinbergs.

In unserer Verkostung schafften es aber gleich zwei 2014er-Weine aus Parzellen des Würzburger Steins in die Reihe der besten Weine, die der VDP in die zweite Kategorie „Erste Lage“ abgestuft hat. Das Weingut am Stein erreichte mit seinem „Würzburger Stein Erste Lage“ 92 Punkte, das Juliusspital mit seinem Silvaner derselben Bezeichnung 91 Punkte. Diese Weine kosten nur die Hälfte der Großen Gewächse.

Die besten Weine aus Rheinhessen platzierten sich nur knapp dahinter: Das Weingut Manz aus Weinolsheim wurde für seinen 2014 Grünen Silvaner trocken Alte Reben mit beachtlichen 89 Punkten bewertet. Der Preis von € 8,30 setzt hier einen schönen Kontrast zu den Topweinen des VDP. Ebenso interessant ist der Silvaner von Schloss Westerhaus in Ingelheim. Für entspannte € 7,50 erhält man einen stimmigen, in sich geschlossenen und dabei leichtfüßigen Wein, den die Verkoster mit 88 Punkten bewerteten. Dieselbe Punktzahl erreichte der 2014 Silvaner Réserve vom Weingut Karl May aus Osthofen für € 17,90 mit schöner Kühle, Kräuter-Würze, Balance und Vielschichtigkeit. Mit ein paar Jahren Reife kann er womöglich in die „4 Gläser“- oder „5 Gläser“-Kategorie aufsteigen – Potenzial ist jedenfalls dazu vorhanden.

Silvaner.pur in Deutschland

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© Kurz

Jedes Jahr ein bisschen weniger – das ist der Trend des Silvaners in Deutschland. Insgesamt wächst er in den deutschen Weingärten derzeit auf 5.031 ha, im vergangenen Jahr waren es noch 5.122 ha. Im Jahr 1972 stand mit 16.739 ha noch mehr als die dreifache Menge in Deutschland. Seit Jahrzehnten reduziert sich die Anbaufläche der spannenden Sorte, die aus Österreich stammt und mit der Kreuzung von Traminer und Österreichisch-Weiß entstand.

1659 wurden in einem Weinberg des Grafen Castell im gleichnamigen Ort am Steigerwald (Franken) die ersten Silvaner-Reben in Deutschland gepflanzt. Bereits wenige Jahre später wuchs die Sorte wegen ihrer Ertragssicherheit, Zuverlässigkeit und recht frühen Reife überall im Land. Sie löste vor allem den sehr verbreiteten Heunisch ab. Noch Mitte des vergangenen Jahrhunderts war jede zweite Rebe in Deutschland eine Silvaner-Rebe. Seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ist Rheinhessen das weltweit größte Anbaugebiet der Sorte. Silvaner wächst hier auf 2.371 ha, das sind knapp neun Prozent der Anbaufläche. Hinter Riesling, Müller-Thurgau und Dornfelder steht er damit auf Platz vier der Rebsorten in diesem Anbaugebiet. In Franken hat die Sorte die längste Tradition. Hier wächst der Silvaner auf 1.425 ha und hat 2014 sogar um 19 ha zugelegt. Franken ist die einzige Weinregion Deutschlands, in der seine Anbaufläche wieder wächst. Und im Weinberg des Grafen Castell wird auch heute noch Silvaner geerntet.