Die unergründliche Leichtigkeit des Weins

Ein Artikel von Uwe Kauss | 06.04.2017 - 16:54
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Entspannte Ernte: Die Wetterbedingungen in Deutschland sorgten im Herbst nach kurzem, kräftigem Regen für eine ruhige Lese des Rieslings. © DWI

Nasser Winter, frühe Blüte, ein sehr trockener Sommer mit extrem heißen Temperaturen. Im beginnenden Herbst genug Regen, danach Sonne und kühle Temperaturen bis zur einigermaßen entspannten Ernte. Im Schnelldurchlauf lässt sich so der deutsche Wein-Jahrgang 2015 beschreiben. Trotz leicht unterschiedlicher Wetterbedingungen in den einzelnen Anbaugebieten steckt das den Rahmen ab für Prophezeiungen, Qualitätsvorhersagen und die üblichen viel zu frühen Werturteile. Ja, trotz einiger Nervosität der Winzer im Lauf des Jahres ist diesmal alles gut gegangen. 2014 war ein Jahrgang für Könner mit Managerqualitäten, 2013 extrem schwierig, viel zu warm und deutlich zu nass. 2015: perfekte analytische Werte, viel Zeit für Selektion, tolle Traubenreife mit wenig Fäulnis. „Die Trockenheit und die Hitzeperiode im Juli und August haben uns im Sommer echt Sorgen gemacht. Wir hatten alle das Jahr 2003 mit seinen minimalen Säurewerten im Kopf. Aber Anfang September hat der Landregen die Notsituation beendet. Die Temperaturen gingen schlagartig runter, nachts wurde es richtig kalt. Das war für die Aromareife genau richtig“, erinnert sich Frank Schönleber vom Weingut Emrich-Schönleber in Monzingen an der Nahe. Sein filigran-mineralisches Großes Gewächs aus dem Halenberg wurde mit 96 Punkten als einer von zwei Siegern der Trophy ausgezeichnet.

Kühle, trockene Tage mit Wind und Sonne

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© Kauss

Auch Roman Niewodniczanski vom Weingut Van Volxem aus Wiltingen an der Saar, dessen feinst nuancierter Riesling Scharzhofberger Pergentsknopp als zweiter Siegerwein 96 Punkt erzielte, schwärmt von einem „großen Jahrgang, der leicht, fein und finessenreich“ ausgefallen sei. „Ich könnte ja jetzt von goldgelben Trauben schwärmen. Aber dieses Klischee gab‘s bei uns nicht zu sehen. Zur Ernte waren sie einigermaßen reif, mit einem guten Mostgewicht um 95 Grad Oechsle und genau richtigen Säurewerten“, erzählt er, „wir konnten aber in diesem trockenen, kühlen Herbst-Korridor ohne Zeitdruck ernten, akkurat selektieren und so jede einzelne Botrytis-Beere aussortieren.“

Viele deutsche Betriebe hatten das Problem vor allem beim Riesling, dass die Traubenhäute durch die heißen Temperaturen mit fortschreitender Reife dünn wurden. Die Folge: Sie bildeten Haarrisse und platzten auf – allerdings nicht überall im Weingarten wie so oft im vergangenen Jahr. Denn der kühle Wind trocknete die Trauben schnell. Wer auf Handlese und konsequente Selektion setzte, füllte allerbestes Traubenmaterial mit hervorragenden analytischen Werten in die Weine etwa kam mit 95 Grad Oechsle und etwa zehn Gramm Säure pro Liter in den Keller – das sind Lehrbuch-Werte, die nur selten in diesem Verhältnis ausfallen.

In der Pfalz hingegen war die Wetterlage etwas komplizierter: Zum Beginn der Ernte regnete es 40 Liter pro Quadratmeter – zu viel für die angespannten Winzer. In rasender Eile holten viele Betriebe aus den Weingärten, was zu holen war. Gesunde Trauben – das war nun der Maßstab, nicht mehr ihre analytische Qualität. Verkehrte Welt: In einigen Regionen wurde der Spätburgunder zuerst geerntet, weil die Weinmacher zu niedrige Säurewerte befürchteten, die die Arbeit des Jahres zerstören könnten. Es waren ebenfalls die schlechten Erfahrungen des Hitzejahres 2003, die sie zur Blitzernte trieben. Doch das kurz darauf einsetzende sonnige, windige und kühle Wetter ließ die nervenstarken Winzer durchatmen – nicht nur in der Pfalz, sondern überall in Deutschland. Vor allem dem Riesling hat der schnelle Wetterumschwung im September mit Ostwind, Kühle und Sonne verdammt gut getan. Er hat eine wahrscheinlich nur mäßige Ernte in wenigen Wochen zu einem großartigen Jahr katapultiert. Durch die Sommerhitze machte auch die gefürchtete Kirschessigfliege den Winzern nur sehr wenig bis gar keine Probleme – denn viel Sonne und hohe Temperaturen vertragen die Schädlinge gar nicht. Durch die lange Trockenheit mussten die Winzer auch keine Infektionen, keinen Mehltau und nur wenig Fäulnis bekämpfen.

Auch in diesem Jahr gilt wieder: Topbetriebe, die akkurat und präzise nach hohen Qualitätskriterien im Weingarten arbeiteten, konnten statt sehr guter diesmal großartige Weine auf die Flasche bringen. Mittelmaß im Weinberg und im Keller dagegen wurde in diesem Jahr doppelt hart bestraft: Auch in der Verkostung haben schmeckbar unschöne, manchmal sehr raue Gerbstoffe eine gute Bewertung verhindert, ebenso wie zu scharfe Säure, harte Bitterstoffe und fast aufgepumpt wirkende Extrakte. Doch die Zahl der Weine am unteren Ende der Bewertungsskala ist in diesem Jahr so gering wie noch nie. Nur sechs Weine – also 2,5 Prozent – schafften es nicht, mit mindestens 75 Punkten oder „1 Glas“ bewertet zu werden. Auch das spricht für einen wirklich guten und nicht nur hochgejubelten Jahrgang. Zudem haben erstaunlich viele Rieslinge unter zehn Euro beste Bewertungen erhalten: Zwölf Weine dieser Preisklasse erreichten sogar 90 Punkte und mehr. Ein Beispiel: Das Hochgewächs von der Ayler Kupp (Saar) vom Margarethenhof wurde vom Verkostungsteam mit satten 93 Punkten bewertet – und ist ab Hof für 7,90 Euro zu haben. 2015 ist ein Jahrgang für Genießer und nicht nur für Fans und Kenner.

Moderater Alkohol, viel Finesse

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Im uralten, feuchten Keller des Weinguts von Hövel an der Saar gärt und reift Riesling der weltberühmtenLage Scharzhofberg im Holzfass. © Kauss

Die in vielen Regionen fast brutale Hitze und wochenlange Trockenheit des Sommers sind den Siegerweinen allerdings nicht anzumerken – im Gegenteil: Sie schmecken kühl, elegant und filigran mit durchaus präsenter Säure. Die Trauben beider Topweine wuchsen an alten, tief wurzelnden Rebstöcken im extrem steilen Spitzen-Weinberg Halenberg (Emrich-Schönleber) und in der weltberühmten Steillage Scharzhofberg (Van Volxem), deren Bodenstruktur das Wasser des sehr verregneten Winters aber hervorragend speicherte. Durch die Hitze blieben die Beeren zwar kleiner, doch der Trockenstress hielt sich in Grenzen. Die eingereichten Weine des Weinguts Van Volxem kommen wieder mit höchstens 12 % Alkohol aus. „Ich liebe Wein, aber ich liebe keinen Alkohol“, erklärt Roman Niewodniczanski seinen Qualitätsansatz. Feine Frucht-Säure-Balance, viel Aroma, Finesse und Eleganz mit wenig Volumenprozenten – diese Philosophie des Topwinzers von der Saar ist 2015 fast überall in Deutschland spürbar.

Die „Riesling.Trophy“ bildet diesen Trend erstmals deutlich ab: Von den 235 eingereichten Flaschen enthalten rund 40 trockene Weine nur 12 % Alkohol und weniger. „Die Zeit der großen Körper ist beim Riesling vorüber“, betont Niewodniczanski. Tatsächlich sind in diesem Jahr nur sehr wenige Weine alkoholstark: Nur insgesamt 27 Weine enthalten 13,5 bis 14,5 Prozent Alkohol, das sind lediglich etwas mehr als zehn Prozent.

Der Jahrgang 2015 könnte sich damit zum Trendsetter für Balance, Filigranität und Feinheit entwickeln. Es wird viel Freude bereiten, die besten Weine zu lagern und immer mal wieder hervorzuholen und zu öffnen. „Ich vermute, dass der Halenberg erst in zwölf Jahren auf dem Höhepunkt ist“, sagt Frank Schönleber. „Ich vergleiche unsere Weine aus 2015 am ehesten mit denen von 2004, obwohl die Witterung damals anders verlaufen ist. Aber die 2004er schmecken derzeit wunderbar.“ Roman Niewodniczanski vergleicht den Jahrgang – wie viele seiner Kollegen – aufgrund des relativ ähnlichen Witterungsverlaufs mit dem grandiosen Jahr 1971, eines der besten des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Für Frank Schönleber ein unpassender Vergleich: „1971 mag zwar das Wetter ein wenig wie 2015 verlaufen sein, aber damals hat man doch im Weinberg und im Keller ganz anders gearbeitet. Da entstanden völlig andere Weine, das lässt sich doch so nicht vergleichen.“

Erstaunlich zugänglich, lange lagerfähig

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Die steilen, gut wasserführenden Schiefer-Weingärten an der Saar haben 2015 teils grandiose Rieslingehervorgebracht. © beigestellt

In der Verkostung fiel ein weiterer Aspekt des Jahrgangs sehr positiv auf: Durchweg sind die Rieslinge – ganz anders als in den zurückliegenden Jahrgängen – bereits jetzt sehr zugänglich und mit Genuss zu trinken. Von Säure und Gerbstoffen eingehüllte Preziosen, die auch durch langes Karaffieren ihren Vorhang nur einen Zentimeter weit öffnen, waren diesmal nur selten zu kosten.
Im Gegenteil: Selbst die Spitzenweine der Top Ten unserer Trophy von den Weingütern Van Volxem, Emrich-Schönleber, Sauer, von Hövel, dem Margarethenhof in Ayl, dem Staatsweingut Weinsberg und dem Rappenhof aus Rheinhessen sind erstaunlich offen, mit toller Frucht und schöner Länge. „Das macht derzeit richtig Spaß, sie zu trinken, aber einen Grund für diese Entwicklung haben wir nicht gefunden“, bestätigt Frank Schönleber freudig, aber ratlos. „Die Moste haben schon wunderbar gerochen, wir hatten auch keine Füllkrankheit. An der Kellertechnik hat's nicht gelegen, wir haben dort so wenig wie in den vergangenen Jahren gearbeitet.“ Für Roman Niewodniczanski macht diese Zugänglichkeit „die Größe des Jahrgangs aus“: Mineralität, Frucht, Säure – das alles ist schon jetzt in wunderschöner Balance. Doch die besten 2015er Rieslinge sind mutmaßlich vor allem eines: sehr, sehr lange lagerfähig. Er rät daher den Riesling- Freunden: „Wartet mal ab, was sich daraus in fünf, in zehn Jahren entwickelt. Das wird richtig groß.“

Die Verkostung

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© Kurz

Das Team von wein.pur bewertete Ende September 235 trockene und halbtrockene sowie feinherbe Rieslinge des Jahrgangs 2015 aus Deutschland in einer Blindverkostung in Wien. Die Punkte- und Gläserzahl ermittelten die Verkosterinnen und Verkoster in mehreren Durchgängen, um den Weinen Zeit zu geben und ihnen möglichst gerecht zu werden. Zur Jury gehörten die wein.pur-Redakteure Luzia Schrampf, Alexander Lupersböck und Uwe Kauss sowie Pepe Pérez-Ubeda, Ursula Ludwig und als Gast die Sommelière Rosa Schneier. Vier Weine – zwei von der Nahe, je einer von der Saar und aus Franken – bewertete die Jury mit 5 Gläser, also 95 Punkten und mehr. Das bedeutet: Weltklasse. 2015 war in Deutschland ein hervorragendes Jahr – das zeigt die Verkostung deutlich. Insgesamt 56 der 235 Weine erhielten eine Topbewertung ab „4 Gläser“ („Ausgezeichnet“). Das Einkaufen und Lagern von deutschem Riesling aus dem Jahrgang 2015 können sich also richtig lohnen, wenn beim richtigen Winzer eingekauft wurde. Denn das Jahr zeigte sich in der Verkostung immer wieder uneinheitlich – wo viel Licht leuchtet, ist auch Schatten. GG = Großes Gewächs des VDP sowie des Bernkasteler Rings (Mosel). EG = Erstes Gewächs auf landesgesetzlicher Grundlage, nur im Rheingau.

Die besten Winzer & Weine

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© Kauss

Van Volxem, Wiltingen (Saar)
96 P. Riesling Scharzhofberger Pergentsknopp 38,– Euro
95 P. Riesling Alte Reben 16,90 Euro


Das Weingut Van Volxem im engen Ortskern von Wiltingen (Saar) hat sich innerhalb weniger Jahre zu den besten Weingütern Deutschlands entwickelt und auch international große Anerkennung gefunden. Neu gegründet hat es im Jahr 2000 der frühere Unternehmensberater Roman Niewodniczanski, der aus der Eigentümerfamilie der Bitburger-Brauerei stammt. Er restaurierte die historischen Gebäude des renommierten Weinguts, das im 19. Jahrhundert vom flämischen Brauereibesitzer Gustav van Volxem betrieben wurde. Der VDP-Betrieb bewirtschaftet aktuell rund 80 Hektar Weingärten an der Saar. Zu ihnen gehören die besten Lagen der Region – darunter auch Parzellen im weltberühmten Scharzhofberg mit seinem dichten, gut wasserführenden Schieferboden, aus dem der Trophy.Sieger stammt.

Er teilt sie mit dem Riesling-Weltstar Egon Müller. Sein Riesling ist eine Referenz an die Weine des 19. Jahrhunderts: Niewodniczanski und sein Gutsdirektor Dominik Völk verfolgen einen traditionellen Anspruch, der von scharfer Traubenselektion, Spontangärung, wenig Alkohol, Finesse, Eleganz und langer Lagerfähigkeit geprägt ist. „Vor 20 Jahren wären diese Weine untergegangen, sie hätten nicht einmal die Anerkennung bekommen. Heute stehen diese Aspekte wieder im Fokus“, sagt Niewodniczanski. Seine großen Weine benötigen einige Jahre, bis sie sich entfalten. Damit ist er auf Erfolgskurs: Derzeit lässt er eine große moderne Weinmanufaktur außerhalb Wiltingens bauen, in der ab 2017 seine Weine produziert werden sollen.

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© Schönleber

Emrich-Schönleber, Monzingen (Nahe)
96 P. Riesling Halenberg GG 39,– Euro

Der frühere Mischbetrieb mit Landwirtschaft in Monzingen wurde Mitte der 1960er Jahre von Wilhelm Schönleber, später von seinem Sohn Werner zum reinen Weingut umgestaltet. Damals wuchs die Rebfläche von rund zwei auf zehn Hektar an. Heute wird das VDP-Weingut von Werner und seinem Sohn Frank Schönleber geführt. Sie wollen ehrliche, authentische und herkunftstypische Weine produzieren, die viel Trinkfreude bieten. Bei Lagenweinen ist ihnen wichtig, den markanten und so unterschiedlichen Charakter ihrer Weingärten herauszuarbeiten. Der Trophy.Sieger stammt aus der Monzinger Lage Halenberg, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Vergessenheit geraten sei, erzählt Frank Schönleber. Sein Vater Werner erwarb ab den 1990er Jahren brachliegende Parzellen darin und rekultivierte sie mit großem Aufwand – besonders 2,2 Hektar der steilsten Flächen, die heute zu seinen besten gehören. Inzwischen bewirtschaften die beiden 5,3 der 8,5 ha großen Lage mit neuem Weltruf. Dort wächst ausschließlich Riesling. Der von blauem Schiefer und Quarzit geprägte Halenberg mit bis zu 70 % Steigung ist nach Süden ausgerichtet. Er verlangt den Reben viel ab, die Trauben sind kleinbeerig und entwickeln ein sehr eigenes Aroma. Typisch für den Riesling ist die feinstrukturierte, salzig-mineralische Art. Doch erst mit etwas Reife entwickeln die Halenberg-Weine ihre charakteristischen würzig-kräuterigen Aromen.

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© Kauss

Horst Sauer, Escherndorf (Franken)
95 P. Riesling Escherndorf Am Lumpen GG 24,– Euro

Das VDP-Weingut im fränkischen Escherndorf (Bereich Maindreieck) wurde 1977 von Horst Sauer gegründet und ist ein Familienbetrieb: Seine Tochter Sandra verantwortet seit 2005 den Ausbau und die Vinifikation gemeinsam mit ihrem Vater, der das Theater liebt und mit seinen Gästen gerne über Philosophie, Literatur und Schauspiel spricht. Die Weinberge umfassen 18,5 Hektar Weingärten in den Escherndorfer Einzellagen Fürstenberg und Lump. Die Arbeit darin ist extrem hart und kräftezehrend: Die steilsten, gut vor Wind geschützten und nach Süden gerichteten Stücke des Escherndorfer Lumps fallen so steil ab wie eine Skischanze. Darin stehen über 30 Jahre alten Reben. Die Parzelle „Am Lumpen“, aus der der Trophy. Sieger stammt, wurde bereits 1655 in einer Güterbeschreibung erwähnt. Hier wachsen die Trauben für das Große Gewächs, das in der „Riesling.Trophy“ als „Weltklasse“ ausgezeichnet wurde. Im erst vor einigen Jahren ausgebauten Gutsgebäude werden Moste und Weine über kurze Wege fast nur über die Schwerkraft bewegt. Die schonende Behandlung und eine lange, gezügelte Gärung sollen, so Horst Sauer, besonders feingliedrige, reintönige Weine prägen. Je nach Jahresbedingungen produzieren die beiden auch „Specials“. Das seien Weine – etwa der Silvaner „Sehnsucht“ –, die „durch die außergewöhnliche Inspiration eines Augenblicks geprägt sind“.