Tofu und die weite Welt der geronnenen Bohne

Ein Artikel von Herbert Lehmann | 20.04.2021 - 11:14

Die weiß-grauen Blöcke können ganz schön polarisieren: Für viele sind sie geschmacklose, essbare Radiergummis, die nach nasser Wellpappe riechen. Für andere wiede­rum „die“ vegetarische Offenbarungsquelle schlechthin.

Jetzt mal ehrlich: War es Liebe auf den ersten Blick? Wie war die erste Begegnung mit Tofu, dem unbekannten
Wesen? In der Misosuppe, als Fleischersatzschnitzel oder als Tofuwürstel? Vielleicht, weil Tofu, wenn er nicht richtig behandelt wird, sich gerne mal trotzig ins Geschmacks-Winkerl stellt. Schwierig!

Vor ein paar Jahrzehnten war der gekonnte Umgang halt auch nur wenigen Eingeweihten geläufig, dabei ist er in der Küche ein richtig tolles Chamäleon. Die Ausgangsformen sind vielfältig: Es gibt ihn frisch, geräuchert, krümelig, fest, sehr fest, butterzart, stichfest, druck­elastisch, würfelig, gewürzt, mit Kräutern, mit Nüssen oder als Granulat. Da er aber im Grunde genommen bis auf ein paar Nuancen geschmacksneutral ist, wird man schon ordentlich gefordert, wenn man daraus eine vibrierende Gaumenfreude kreieren möchte.

Alles Bohnenkäse

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© Herbert Lehmann

Tofu gibt es verbrieft schon seit mehr als tausend Jahren in der chinesischen Küche. Sicher aber war er schon früher auf dem Speiseplan. Es fand nur niemand wert, darüber ein Memo anzulegen. Die etymologische Heimat hat Tofu wahrscheinlich in der Mongolei – dort wird vergorene Milch so ähnlich bezeichnet. Die japanischen Schriftzeichen weisen ihn wiederum als „Bohne, verrottet“ aus. Das darf man jetzt aber nicht so wörtlich nehmen. Tofu kam eigentlich erst mit dem vermehrten Austausch mit dem Fernen Osten nach Europa und dann natürlich stark mit dem Aufkommen der asiatischen Restaurantszene.

Heute gibt es sogar in Österreich einige Betriebe, die sich der Tofuherstellung widmen. Die Palette reicht vom Bio-Landwirt, der seine eigenen Sojabohnen veredelt, bis hin zum mittleren Industriebetrieb, der zehn Tonnen Ausstoß am Tag verzeichnet – frei von Gentechnik, versteht sich. Ausgangsmaterial ist Sojamilch, die aus der weißen Sojabohne gewonnen wird. Beim Anbau dieser Ackerfrucht, hierzulande übrigens flächenmäßig auf Platz vier, ist Österreich ganz gut unterwegs. Vor allem im Bio-Anbau wachsen die Flächen beachtlich. Vielleicht ist das auch der Tatsache geschuldet, dass Soja ein sogenannter „Stickstoffsammler“ ist, der keinen zusätzlichen Einsatz von Mineraldünger verlangt, um ordentliche Erträge zu bringen. Ideal für den Bio-Landwirt. Für viele ist sie aber weniger präsent als zum Beispiel Raps. Dabei werden Sojabohnen schon seit rund 150 Jahren in Österreich angebaut und nicht nur als Futtermittel verwendet. So gab es in den 20ern des vorigen Jahrhunderts schon ein Edelsoja-Mehl aus Schwechat.

Aber es geht ja um Tofu

Wie schon eingangs erwähnt, werden manche kulinarisch nicht so richtig warm mit dem „Bohnenkas“. Wahrscheinlich lag es am falschen Rezept, an der falschen Zubereitung oder, tja, am falschen Tofu. Da hilft nur eines: Dran bleiben! Ausprobieren! Mittlerweile gibt es schon sehr, sehr viele Rezepte, wie man Tofu kulinarisch aus der Versenkung holen kann. Sollte es aber an der Verfügbarkeit des stimmigen Grundmaterials scheitern, muss man wissen, dass man Tofu relativ leicht selbst zu Hause herstellen kann. Hat nicht jedermann auf dem Radar.

Tofu selbst gemacht!

Möchte man Tofu selbst herstellen, ist das mit Aufwand verbunden, aber im Grunde genommen ein überschaubarer Prozess. Es reichen ein Kochtopf, ein Standmixer, ein Filtertuch sowie Formen und Gewichte zum Verdichten des Käsebruchs. Ja, Einspruch stattgegeben: Es ist kein Käse, da war nichts mit melken. Die weißen Sojabohnen (300 Gramm) sollte man über Nacht einweichen. Am nächsten Tag ordentlich waschen und in einem Standmixer mit zwei Liter Wasser richtig fein pürieren. Das geht selten auf einen Schlag, also macht man das auf zwei Mal – die Hälfte der Bohnen und ein Liter Wasser. Die Flüssigkeit gibt man nun in einen weiten Topf und kocht sie unter ständigem Rühren auf. Nachdem der Siedepunkt erreicht ist, heißt es aufpassen: Unter der Oberfläche brodelt es auf einmal unerwartet so stark, dass man alle Hände voll zu tun hat, diesen Schaumvulkan vor der küchenversauenden Eruption zu bändigen. Da hilft es, den Schaum rechtzeitig abzuschöpfen und den Topf kurz vom Herd zu nehmen. Nach zehn Minuten bei niedriger Hitze gekocht und mit aufmerksamem Umrühren gepflegt, ist dieser Part dann zu Ende. Nach dem Abkühlen wird die Flüssigkeit in ein Filtertuch gegossen und die Sojamilch daraus abgepresst. Den Pressrückstand kann man wunderbar für andere Speisen verwenden. Will man sich die Eigenproduktion von Sojamilch nicht antun, hält man in einschlägigen Quellen Ausschau nach Sojamilch mit hohem Eiweißgehalt. Als Richtwert dient hier mindestens 3,7 Gramm Eiweiß auf 100 Gramm.

Nun geht es weiter, fast wie in einer richtigen Käserei: Dort löst das Lab die Abscheidung des Eiweißes von der Molke aus, bei Tofu übernimmt Bittersalz oder Gips – klingt sonderlich, ist es aber nicht – diese Funktion. Im Ursprungsland China wird Calciumsulfat (E 516) verwendet, in Japan, wo das Meer präsenter ist, wird Nigari, ein Meerwasserauszug aus Magnesiumchlorid, eingesetzt. Beide Stoffe gibt es in natürlich gewonnenen Formen sowie als industrielles Nebenprodukt. Calciumsulfat fällt bei der Herstellung von Wein- und Zitronensäure an, Magnesiumchlorid bei der Herstellung von Kaliumchlorid. Da jedes Mittel unterschiedliche Ergebnisse in der Festigkeit und im Geschmack (Bittersalz – nomen est omen) bringt, kann man hier viel mit unterschiedlichen Mengen und auch mit Mischungen aus beiden Mitteln experimentieren. Nebenbei sei erwähnt, dass Essig und Zitronensaft auch die Ausfällung des Sojaeiweißes bewirken, das Ergebnis geschmacklich sich aber nicht großer Beliebtheit erfreut.

Fest oder butterweich?

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© Herbert Lehmann

Der Typ und die Menge des Gerinnungsmittels und in weiterer Folge die mechanische Einwirkung auf den „Käsebruch“ in der Form ist nun entscheidend für Geschmack und Festigkeit. Das Gerinnungsmittel wird entweder der kalten Sojamilch zugesetzt oder aber sobald die Zieltemperatur erreicht ist. Beim Zusetzen in kaltem Zustand muss man rund zehn Minuten warten, bevor die Flüssigkeit für 20 Minuten auf gut 85 bis 90 Grad erhitzt wird. Wird das Gerinnungsmittel der warmen Sojamilch zugesetzt, reichen 75 Grad und danach zehn Minuten Wartezeit, bis die Masse gestockt ist. Möchte man den fluffigsten Seidentofu aller Zeiten herstellen, empfiehlt es sich, den Kochprozess schon in einer Schüssel vorzunehmen. Dabei die angesetzte Sojamilch nicht rühren und nicht mehr viel bewegen, bis das Gefäß im finalen Wasserbad gelandet ist.
Aber jetzt zum schnittfesten Tofu: Der nun entstandene Bruch wird in eine hölzerne Tofuform gegossen, die mit Käsetüchern ausgelegt ist. Deckel darüber und leicht pressen. Wer ihn nun etwas fester haben möchte, stellt noch eine kleine Konservendose oben drauf. Das reicht schon. Nach zehn Minuten wird das Wunderwerk von den Tüchern befreit und geht für mindestens eine halbe Stunde in ein kühles Wasserbad. Fertig.
Man sieht, es ergeben sich schier unendliche Wege, Tofu selbst herzustellen. Also, wenn man nicht den geeigneten Lieferanten in Reichweite hat, der für die persönlichen Geschmacksvorlieben genau das richtige Ding herstellt, kann man einfach zum eigenen Kochlöffel greifen. Denn auch bei Tofu gilt: Frisch schmeckt es am besten. Also, nichts wie ran an die Töpfe!