Das Auge isst mit!?

Ein Artikel von Julia Reinert | 08.09.2014 - 11:18

„Das Auge isst mit“ – ein bekanntes Sprichwort, das vor allem Restaurantchefs oft ihren Köchen nahelegen. Essen soll nicht nur gut schmecken, sondern auch schön aussehen und hübsch angerichtet sein.
Ein Salatblatt und eine geviertelte Tomate neben dem Steak, auch wenn es noch einen extra Salatteller dazu gibt; ein bisschen Petersilie über die Gulaschsuppe gestreut, auch wenn das für den Geschmack gar nicht nötig wäre; ein frisches Blatt Basilikum auf den Spaghetti Bolognese, um einen frischen Farbtupfer auf das Gericht zu zaubern – alle diese kleinen Verschönerungen sind in Restaurants gang und gebe und machen das Gericht für den Gast optisch ansprechender.

In zahlreichen Studien wurde inzwischen nachgewiesen, dass das Aussehen eines Gerichts einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf den Geschmack des Selben hat. Ein Gericht schmeckt uns dann besser, wenn es lecker aussieht. Sogar bei der Entscheidung, welches Gericht wir essen möchten, lassen wir uns stark von unserem Sehsinn beeinflussen. Das Max-Planck-Institut führte kürzlich eine Studie durch, in der das Entscheidungsverhalten von Kantinengängern untersucht wurde. Die Teilnehmer sollten ihr Essen an einem Bildschirm auswählen, der ihnen unterschiedliche Informationen zu den Gerichten gab. Neben einem Bild des Gerichts sahen die Teilnehmer den Namen, den Preis und die Inhaltsstoffe. Drei Viertel der Teilnehmer entschieden sich in erster Linie aufgrund des Bildes und des Preises für ein Gericht, die Inhaltsstoffe spielten bei der Entscheidung so gut wie keine Rolle.

Ein anderer Test untersuchte, inwieweit der Sehsinn einen direkten Einfluss auf den Geschmacksinn hat. In dieser Studie wurde ein und derselbe Apfelsaft unterschiedliche gefärbt. Den Versuchspersonen wurde er einmal rot gefärbt, einmal grün gefärbt und einmal ungefärbt gereicht. Obwohl die Farbstoffe keinerlei Einfluss auf den Geschmackhatten, gaben fast alle Probanden an, dass sie Johannisbeersaft, Kiwisaft und Apfelsaft getrunken hatten.
Gleiches wurde bei einem Test mit rot gefärbtem Naturjoghurt festgestellt: auch hier „erschmeckten“ die Versuchspersonen den Joghurt als Erdbeerjoghurt. Wissenschaftler gehen davon aus, dass unsere Geschmacksnerven durch unsere optische Erfahrung mit Lebensmitteln beeinflusst werden. Wenn unser Sehsinn also ein Produkt als Johannisbeersaft einordnet weil es wie Johannisbeersaft aussieht, übernehmen die Geschmacksnerven oft diese Einschätzung.

Eine gute Methode, um die eigenen Geschmacksnerven einmal auf die Probe zu stellen, ist ein Essen im Dunkeln. In vielen Städten gibt es inzwischen Dunkelrestaurants. Wer das Ganze lieber zuerst einmal ungestört ausprobieren möchte, kann natürlich auch beim Essen zu Hause einfach mal das Licht auslassen. Die Ergebnisse eines solchen Experiments sind faszinierend. In Dunkelrestaurants hat man meist die Wahl, ob man sich ein Gericht aussuchen möchte oder sich überraschen lassen möchte. Lässt man sich ein unbekanntes Gericht bringen, ist das Erlebnis natürlich um einiges aufregender. Der Geschmack und die Aromen werden viel intensiver wahrgenommen, da der Geschmackssinn und der Geruchssinn ihr Möglichstes tun, um den Ausfall des Sehsinns zu kompensieren. Wer nach dem Essen weiß, was er gegessen hat, kann sich sicher sein, dass sein Geschmackssinn sich zwar gerne auf den Sehsinn verlässt, aber auch ohne diesen sehr gut funktioniert. Eine spannende Erfahrung ist ein Essen im Dunklen auf jeden Fall, da das Schmecken, Riechen, Tasten und Hören viel intensiver wird, wenn das Auge einmal nicht am Essen teilnimmt.

Amerikanische Forscher gingen in ihren Untersuchungen noch weiter: Sie testeten nicht nur, welchen Einfluss der Sehsinn auf den Geschmack eines Essens hat, sondern auch, welchen Einfluss er auf unser Sättigkeitsgefühl hat. In einem Experiment sollten die Probanden einen Teller Suppe essen. Die eine Hälfte der Probanden aß die Suppe aus normalen Tellern, die Teller der anderen Hälfte wurden über einen Schlauch im Boden langsam immer wieder aufgefüllt. Das Ergebnis war eindeutig: Die Probanden, deren Teller sich auffüllten, aßen 73% mehr Suppe als die anderen Teilnehmer. Im Anschluss an das Experiment sollen die Teilnehmer des Experiments schätzen, wie viel Suppe sie gegessen hatten und wurden nach ihrem Sättigkeitsgefühl gefragt. Keiner der Teilnehmer glaubte, deutlich mehr gegessen zu habe als die anderen. Auch der gefühlte Sättigkeitsgrad war bei beiden Teilnehmergruppen gleich.

Die Forscher kamen zu dem Ergebnis, dass die Nahrungsmenge, die wir zu uns nehmen, vor Beginn der Mahlzeit und während der Mahlzeit anhand optischer Kriterien abgeschätzt wird. Diese Schätzung erzeugt eine Erwartungshaltung, die wiederum unser Sättigkeitsgefühl beeinflusst.

Der Sehsinn hat also einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf unser Geschmacksempfinden. Er beeinflusst unsere Essensauswahl, den Geschmack eines Gerichts und zusätzlich das Sättigkeitsgefühl. Da kann es nicht schaden, beim Essen ab und zu mal kurz die Augen zu schließen und den Geschmacksinn ein bisschen zu fordern. Ein spannendes Erlebnis ist das auf jeden Fall.