Es muss nicht immer Kernöl sein

Ein Artikel von Klaudia Blasl | 08.03.2014 - 17:25

Aristoteles hatte Recht. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Folglich ist im Unrecht, wer die lukullische Vielfalt der grünen Mark alleine auf Schilcher, Kernöl und Kürbis reduziert und dabei so köstliche Dinge wie Steirerkas, Grubenkraut oder Magnus, den überschäumenden Mönch, übersieht.

So ein Kas´

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So ein Kas´Auf der Alm, da gibt’s koa Sünd, weil koa Pfarrer auffi kimmt. Heißt es. Oder weil die Männer müde sind. Wobei Pfarrer im Grunde ja auch nur Männer sind. Aber egal, fest steht, dass Völlerei im Umfeld einer Sennerei offenbar zu keinem Eintrag ins Sündenregister führt. Und wegen der exponierten Höhenlage kann man vermutlich sogar mit Gottes Segen schlemmen. Etwa den traditionellen Steirerkas, der seine zweifache Heimat (das Murtal und das Ennstal) zur doppelten Genussregion erhoben hat. Dieser grau-braune Bröselkas aus gesäuerter Magermilch, der ein entfernter Verwandter des Tiroler Graukas sein könnte, wird entweder geschmolzen und landet als Kochkäse bevorzugt in der Suppe (Murtal) oder er verleiht als ungeschmolzener Mürbkäse Kasnocken wie Krapfen einen würzigen Akzent (Ennstal).

Die Herstellung erfolgt aber hier wie dort nach dem einfachen Prinzip „g´sotten, presst, aufbaht“ (gekocht, gepresst, gereift). Früher einmal, vor Erfindung des Allradantriebs und der allgemeinen Krankenversicherung, wurde das bereits im Mittelalter als bäuerliche Universalingredienz für Suppen, Mehlspeisen oder als Brotaufstrich bekannte Heublumen-Olfaktotum sogar zu medizinischen Zwecken eingesetzt. Ganz nach dem Motto: Je herber der Geruch, desto intensiver die Wirkung.

Mit Schweineschmalz angereichert, wurde die Salbe mit dem käsigen Teint dann im Kampf gegen Gicht und Rheuma auf die schmerzenden Gelenke geschmiert. Heute schmiert der Magerkas nur noch die Gaumensegel, das allerdings mit beträchtlichem Genuss und geschmacklicher Nachhaltigkeit. Wer sich selbst an der Herstellung dieser boden- wie bergständigen Spezialität versuchen möchte, kann sich auf einen entsprechenden Bildungsurlaub – die so genannte Steirerkas-Roas – ins Sölktal begeben.

Dort droben, wo die Kühe noch Hörner tragen und die Sennerinnen die Hosen anhaben, kann man ein offizielles Almdiplom erwerben. Mit allem, was Nachwuchs-Heidis und Möchtegern-Almöhis so können müssen: Melken, Butter rühren, Holz sägen, Gstanzl dichten, Käse machen und Krapfen backen. Wobei es die Steirerkrapfen aus Roggenmehl, Buttermilch und Schnaps bereits zu eigenständigen akademischen Ehren gebracht haben, denn am Kollerhof in Aich bei Schladming wird eine eigene Krapfenakademie betrieben.

Bei der Zubereitung von Bauernkrapfen und gebackenen Mäusen, Raungerln und Spagatkrapfen können teigige Hobbybäcker endlich einmal ordentlich Dampfl ablassen und sich gleichzeitig am Anblick des imposanten Dachsteinmassivs berauschen. Immerhin gehören die Berge zur Steiermark wie der Gamsbart auf den Steirerhut.

Denn „Wo die Gemse keck von der Felswand springt und der Jäger kühn sein Leben wagt; wo die Sennerin frohe Jodler singt am Gebirg, das hoch in Wolken ragt“, dieses schöne Land ist der Steirer Land. In hymnischer Tradition, aber auch in heutiger Realität. In der Krakauebene etwa kann der Schallerwirt nicht nur mit genussvollen wilden Zeiten oder echt steirischen Unkrautsuppen auf seinem slow-foodigen Menüplan aufwarten, sondern sogar mit Vorspeisjodlern, die den Gaumen im wahrsten Sinn des Wortes zum Singen bringen. Hollareithulliöh-öh-öh!

Unterirdische Genusseruptionen

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Wer andern eine Grube gräbt, fällt nicht zwangsweise selbst hinein. Zumindest nicht in der Steiermark, denn hier kann der kulinarische Himmel durchaus unter der Erde liegen. Etwa in den Fischbacher Alpen, wo Waltraud Froihofer und Walter Sommersguter die alte Tradition der Krautgrube wieder ausgegraben haben. Bereits im 15. Jahrhundert wurden in dieser Gegend die Krautköpfe in bis zu vier Meter tiefen Erdlöchern milchsauer und ohne jede Zugabe von Salz vergoren. Peter Rosegger, unumstrittener Doyen unter den steirischen Heimatdichtern, war diesem mit Speck eingebrühten Grubenkraut seinerzeit sogar nahezu verfallen.

Bereits der Gedanke daran weckte „begehrliche Gelüste in (seinen) Zähnen und Gaumen“. Dank Froihofer ist das milde, leicht prickelnde Ohlakraut (Ohla nennt sich die Grube) erneut in aller Munde. Entweder einbrennt mit Grammeln, als warmer Salat oder gar in Form eines Kuchens. Doch zuvor müssen die blanchierten und sonnengetrockneten Köpfe fünf Monate lang im unterirdischen Winterschlaf zur geschmacklichen Vollendung reifen.

Die almländischen Oststeirer scheinen ohnedies flächendeckend ein großes Herz für geschmackvolle wie lichtscheue Genussprodukte zu haben. So munkelt auch der preisgekrönte Arzberger Stollenkäse munter im Dunkeln vor sich hin. In diesem ehemaligen Silberbergwerk, wo die Laibe 100 Meter tief im Franz-Leopold-Stollen lagern, ist die Herstellung von (mit Rotwein affinierten) Erzherzog-Johann-Käse, Arzberger Argentum oder dem Knappenkäse aus Schafmilch auf goldenen Boden gefallen. Die Goldmedaille bei der Käseweltmeisterschaft in den USA haben sich die würzigen Laibe jedenfalls verdient. Der Schafkäse Bellino wurde mit 99,90 von 100 möglichen Punkten zum besten Produkt in der Kategorie der Schafmilchkäse gekürt und hat die steirische Milchstraße somit um einen Star am Käsehimmel bereichert.

Bierige Schaumschlägerein

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Eines steht fest: Hopfen und Malz sind bei dem „wilden Volk hinter dem Semmering“ keinesfalls verloren, sondern – ganz im Gegenteil – in besten Bierbrauerhänden. Es gibt hierzulande nahezu keine Region, die nicht über unzählige Klein-, Kleinst-, Wirtshaus- und Privatbrauereien verfügt. Besonders kurios unter den Großmeistern der Bierschaumschlägerei präsentiert sich das Brauhaus Mariazell.

In diesem historischen Gebäude, dessen Grundmauern bis ins Jahr 1378 urkundlich belegt sind, stehen die kupfernen Sudkessel sogar mitten im urigen Gastzimmer mit den etwas schiefen Wänden. Hannes Girrer ist zu Rechtstolz auf diese hauseigene Tradition der Pierbbreyer. „Wir begradigen nichts und wir verheimlichen nichts“, meint er und verweist auf seine offenen Bottiche, aus denen würzige Duftwolken hochsteigen und sich über die rustikalen Holztische legen. Zwei Mal pro Woche wird hier vor aller Augen gebraut: Entweder ein helles, obergäriges Bier, das Zeller Gold mit 4,6 Volumsprozent und zwölf Grad Stammwürze oder das dunkle Mönch Magnus mit 4,9 Volumsprozent und 12,2 Grad Stammwürze, das so teuflisch gut schmeckt, dass man darüber garantiert den Messwein der Basilika vergisst.

Ungewöhnlich, aber nicht minder gut, rinnen die Kreationen der jungen Anita Herzog den Gaumen hinunter. Neben Chilli-, Kaffee- und einem Damenbier, das nach Hanf und Karamell schmeckt, hat sich die Steirerin sogar an der heimischen Quadratur des alkoholischen Kreises versucht und ein Sauvignon Ale in die Flaschen gefüllt –für Weintrinker, die sich zwischendurch einmal ein Krügerl gönnen wollen.

Noch fein-, wein- und whiskygeistiger geht es dann in Stubenberg am See zu, wo der Moar Peter im ehemaligen Kuhstall nicht nur herrliches Stout, Lager und untergäriges Spezialbier braut, sondern zudem oststeirischen Whisky brennt. Mit seinem im Rotweinfass gelagerten Red Moar und dem White Moar macht er Schotten wie Iren ernsthafte Konkurrenz.

Und in der Brauerei Leutschach kann es mittlerweile sogar vorkommen, dass einem ein Plutzer zu Kopf steigt und für berauschende Zustände sorgt. Neben dem gemeinsam mit der Ölmühle Resch entwickelten saisonalen Kürbisbier haben die findigen südsteirischen Hopfen- und Malzexperten auch ein sportliches Bock´n´Roll-Starkbier mit 19 Grad Stammwürze kreiert. Damit man nicht nur Krügel stemmt, sondern womöglich sogar das Tanzbein schwingt…

Adressen

Arzberger Stollenkäse: 8162 Passail,
Arzberg 104,Tel.: 03179 23050-0, www.stollenkaese.at
Brauerei Leutschach: 8463 Leutschach,
Schillerplatz 3,Tel.: 0699 10438749, www.diebrauerei.com
Brauhaus Mariazell: 8630 Mariazell,
Wiener Straße 5,Tel.: 03882 2523, www.bierundbett.at
Genussregion Ennstaler Steirerkas: 8961 Stein 107,
Tel.: 03685 20903, www.genuss-region.at
Genussregion Murtaler Steirerkas: 8720 Knittelfeld,
Tel.: 0664 6025964842, www.genuss-region.at
Hausbrauerei Anita Herzog: 8142 Wundschuh,
Steindorf 8, Tel.: 0676 3530560
Hofbrauerei Moarpeter: 8223 Stubenberg,
Vockenberg 46, Tel.: 03176 8546, www.moarpeter.at
Kollerhof (Krapfenakademie): 8966 Aich-Assach 34,
Tel.: 03686 4308, www.kollerhof.at
Naturpark Sölkautäler (Steirerkas-Roas): 8961 Stein 107,
Tel.: 03685 20903, www.steirerkas-roas.at
Ölmühle Resch: 8463 Leutschach,
Schloßberg 89, Tel.: 03454 258, www.kernoel-resch.at
Schallerwirt: 8854 Krakauebene 55,
Tel.: 03535 8334, www.schallerwirt.at
Waltraud Froihofer (Grubenkraut): 8654 Fischbach 82,
Tel.: 0699 19091463, www.grubenkraut.at