Natural wine - eine bewegende Geschichte

Ein Artikel von Julia Sevenich | 26.02.2012 - 21:26
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Bernhard Ott vinifi ziert den Qverve in georgischen Amphoren © Weingut

Die Intellektuellen der Weinwelt sprechen alle davon. Der Ausdruck polarisiert. Manche sprechen vom einzigen Weg zur Authentizität, andere von fehlerhaftem Wein. „Natural Wein“ wird von Kritikern als ein irreführender Begriff bezeichnet. „Natural wine“ oder „Naturwein“ darf nicht auf dem Etikett eines Weines aus der EU aufscheinen. Es könnte Verbraucher in den Glauben irreführen, dass es sich um einen Bio- Wein handelt oder dass andere Weine unnatürlich sind. 

Es gibt keinen Bio-Wein

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Stefanie und Eduard Tscheppe bemühen sich um authentische Weine ? ?Mechthild? wurdein stundenlanger Handarbeit mit einer originalen Baumpresse in Gut Oggau gepresst © Weingut

Fast alle Produzenten von hoch qualitativen Weinen sagen, dass sie naturnah arbeiten. Sie verwenden im Weingarten so wenig chemischsynthetische Pfl anzenschutzmittel wie möglich und arbeiten im Keller mit minimalen Eingriffen. Es gibt laut EU-Recht keinen „Bio-Wein“ – es darf auch nicht auf dem Etikett stehen. Wohl aber „Wein aus ökologischem Anbau“ oder „Wein aus biologischer Landwirtschaft“ und diese Richtlinien sind durch die EU-Verordnung Nr. 2092/91 gesetzlich verankert und werden durch Zertifi zierungsorgane streng kontrolliert. Weinproduzenten können sich ihr Zertifi zierungsorgan selbst aussuchen, und viele wählen Organe wie Bio-Austria oder Demeter, deren Zertifi zierungsvorschriften noch strenger als die EU-Richtlinien geschnürt sind. Aber biologische Zertifi zierung ist kein Garant dafür, wie der Wein gemacht wird. Zusätze müssen zwar auch biologischer Herkunft sein, aber wie bei konventionellen Weinen müssen sie nicht auf dem Weinetikett erscheinen. Lediglich Weine, die mehr als 10 mg/l Sulfi te enthalten, müssen mit „Enthält Sulfi te“ gekennzeichnet werden. Wein ist (noch) das einzige Lebensmittel, das nicht verpfl ichtend mögliche Allergene auf dem Etikett vermerken muss. Um Wein blank zu machen, wird häufi g Eiweiß tierischer Herkunft als Hilfsmittel eingesetzt. Es bindet sich mit Weintrub und wird ausgesondert. Ob Spuren im Wein bleiben, ist umstritten.

So wenig Eingriffe wie möglich

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Niki Mosers neue Weinserie ?Minimal?kommt mit möglichst wenig Schwefel aus © Weingut

In einer perfekten (Wein-)Welt würden alle Weine naturbelassen hergestellt, ohne Hilfsmittel und ohne Geschmacksanpassung. Sie würden unfiltrier t, ungeschönt und ungeschwefelt in die Flasche gefüllt. Und sie würden trotzdem wunderbar schmecken und halten. Warum trotzdem Eingriffe? Weil jeder Jahrgang und jeder Wein anders sind. Manchmal schreitet der Winemaker ein, um einen bestimmten Weinstil zu erreichen. Manchmal um einen Wein vor dem Verderb zu schützen. Das Ziel ist es, Weine mit so wenig Eingriffen wie möglich zu machen – nichts dazuzugeben und nichts wegzunehmen. Heinz Frischengruber sagt: „Mir ist es wichtig, dass ein Wein nach seiner Rebsorte oder seinen Rebsorten und seiner Herkunft schmeckt. Das Nichtstun und Nichtsdazugeben kann dem Wein seine Regional- und Sortentypizität nehmen. Ohne Schwefeldioxide ist ein Wein der Oxidation, Brettanomyces und Essigsäurebakterien ausgesetzt.“ Winzer, die sich selbst als „Natural Wine“-Produzenten bezeichnen (oder von anderen als solche beschrieben werden), unterscheiden sich sehr in dem, was sie als ein akzeptables Niveau der Intervention interpretieren. „Natural Wine“ ist eine Bewegung, und wenn man die zahlreichen informellen Winzergruppierungen und Naturwein-Präsentationen weltweit betrachtet, ist es eine Bewegung, die an Momentum gewinnt.

Industrialisierung der menschlichen Ernährung

Die Wurzeln der Bewegung stecken in der Kritik an der wachsenden Industrialisierung der Landwirtschaft und der menschlichen Ernährung Anfang des 20. Jahrhunderts. Leitende Philosophen waren der Österreicher Rudolf Steiner und der Japaner Masanobu Fukuoka. Als Naturwein-Visionär gilt der Weinproduzent und Négociant Jules Chauvet aus Burgund. Chauvet war Chemiker und ein begnadeter Verkoster, der für die Naturbelassenheit des Weines von einem wissenschaftlichen Standpunkt aus, kombiniert mit viel praktischer Erfahrung, argumentiert hatte. Chauvet folgten viele andere Winzer rund um den Globus: Joly an der Loire, Gravner im Friuli, Gauby in Roussillon, Foradori im Trentino, Laughton in Australien. Die Zahl der Winzer, die konventioneller Landwirtschaft und Manipulationen im Weinkeller den Rücken kehren, wächst. Wie kompromisslos sie im Weingarten und Keller arbeiten, ist genauso unterschiedlich wie der Wein, den sie produzieren.

Amphoren & Wein

Am extremsten Ende der Skala gibt es Winzer, die ein antikes Ausbauverfahren praktizieren, mit Ursprung in Georgien. Ton-Amphoren werden mit eingemaischten Trauben befüllt, verschlossen und im Boden vergraben, wo sie vergären und monatelang bleiben. Die Gärung fi ndet weitgehend unter Sauerstoffausschluss statt, da die Amphoren mit Bienenwachs oder Birkenharz abgedichtet werden. Bernhard Ott produzier t einen Wein der „Qvevre“, der nach der georgischen Amphore benannt ist: „Bei konventioneller Weißwein-Bereitung werden die Trauben gleich nach der Ernte gepresst, und nur der Saft wird vergoren. Bei der antiken Methode vergären Weißweine mit den Schalen.” Vinifi zierungsphilosophien für die Amphoren unterscheiden sich sehr. Manche vergären ganze Trauben, ohne sie einzumaischen, andere treten sie zuerst mit den Füßen. Wieder andere, wie Bernhard Ott, entrappen die Beeren und sortieren sie händisch, bevor sie ungequetscht in die Tonfässer kommen. Die Vergärung beginnt innerhalb der noch intakten Beeren und Tannin sowie Aromastoffe werden sanft extrahiert. Sechs Monate später, zu Ostern, gräbt Bernhard Ott die Amphore aus. Die Schalen und Kerne sind auf den spitzen Boden der Amphore gesunken. Nur der klare Wein wird entnommen. Bernhard Otts Qvevre ist blass und grüngelb in der Farbe. Andere Amphoren- Weine werden vor der Gärung mit den Füßen getreten und danach gepresst – deren Farbe ist Orange. Beide Versionen sind meist trüb.

Es gibt keinen Wein ohne Schwefel

Andere Naturweine sind etwas konventioneller im Weinkeller in gebrauchten Holzfässern vergoren. Was minimale, notwendige Eingriffe sind, wird von Winzer zu Winzer unterschiedlich interpretiert. Ein Ziel für die meisten ist, mit so wenig Schwefeldioxid wie möglich auszukommen. Die Höchstgrenzen für Gesamtschwefel (gebundener und freier Schwefel) im Wein in der EU betragen bis 160 mg/l für trockenen Rotwein und 210 mg/l für trockenen Weißwein. Nach der Association des Vins Naturels hat der durchschnittliche „Natural“-Rotwein unter 30 mg/l Gesamtschwefel und „Natural“-Weißwein unter 40 mg/l. Es gibt keinen Wein komplett ohne Schwefel; er ist ein natürliches Nebenprodukt der Vergärung. Schwefeldioxid ist der Hausmeister des Weines. Er tötet Bakterien und andere Mikroorganismen und schützt den Wein vor Oxidation. Es macht ihn haltbar. Ausgeprägte Gerüche nach gebräuntem Apfel oder Apfelmost, Essig, Nagellackentferner, Sauerkraut und Pferdeschweiß werden von den meisten Weinkonsumenten als unangenehm empfunden. Sie können mit der richtigen Dosis Schwefeldioxid zum richtigen Zeitpunkt vermieden werden. Eduard Tscheppe vom Gut Oggau sagt: „Bei meinem Wein Mechthild bin ich bis zum Abfüllen ohne Schwefeldioxid ausgekommen. Man muss das Traubengut sehr gut selektionieren und sauber arbeiten. Eine Handvoll frische Trauben in den Most gibt etwas Schutz vor Oxidation während der Gärung und der Reifung.“

Aromatische Gratwanderung

In niederen Schwellengrenzen können flüchtige Säure, Brettanomyces und andere „Fehltöne“ eine gewisse Komplexität und den Eindruck von Mineralität verleihen. In Weinen mit sehr wenig Sulfit kann es vorkommen, dass die Flaschenvariation sehr groß ist, besonders wenn die Weine nicht immer kühl gelagert wurden. Konsumenten akzeptieren trüben Fruchtsaft und stinkigen Käse, aber die meisten wollen ihren Wein blank, sauber und konsistent. „Natural Wine“ entfacht Diskussionen unter den Winzern. Wie viele Engriffe sind gerechtfertigt, und was ist ihr Preis? Was ist der Preis des Nichteingreifens? Rainer Loacker vom Bioweinhof Loacker in der Weststeiermark: „Ich verfolge jede einzelne Rebe das ganze Jahr hindurch. Ich benütze nur Homöopathie, um sie zu stärken, keinen chemischen Pflanzenschutz und kein Kupfer.“ 2011 verlor er einen Großteil seiner Ernte – erst wegen Pilzerkrankungen, danach durch Wespenfraß. „Auch die Weißweine lasse ich den biologischen Säureabbau durchmachen. Sie entsprechen nicht dem gewohnten fruchtdominier ten Geschmacksbild der Steiermark und werden deshalb als Tafelwein abgefüllt.“

Philosophie statt Genuss

„Natural Wine“ entfacht auch Diskussionen unter Weinliebhabern. Wann ist ein Wein fehlerhaft? Was von einem angenehm empfunden wird, findet ein anderer abstoßend. Manche Naturwein-Produzenten scheinen mehr an ihrer Philosophie als an der Genießbarkeit ihres Weins interessiert zu sein. Sie akzeptieren oxidative Töne, flüchtige Säure und Ähnliches im Namen der Authentizität. Von anderen Naturwein-Produzenten wird das schlicht und einfach als schlechtes Winemaking bezeichnet. Man kann lange diskutieren, was einen Wein groß oder authentisch macht. Roland Velich sagt: „Delikatesse hat viel mit Ästhetik zu tun. Ihre Wahrnehmung muss auch geschult werden, wie in der Musik oder der Kunst. Man braucht eine gewisse Erziehung des Gaumens, um die Delikatesse erfassen zu können, die es zu erfassen gilt. Das ist entscheidend•“

Buch.Tipps

 Empfehlenswerte Bücher (derzeit nur in Englisch): Authentic Wine: Toward Natural and Sustainable Winemaking Von Jamie Goode und Sam Harrop MW ISBN-10: 0520265637 ISBN-13: 978-050265639 Naked Wine: Letting Grapes Do What Comes Naturally Von Alice Feiring ISBN-10: 0306819537 ISBN-13: 978-0306819537

Natural Wine.Info

 Die idealen Weine der Naturwein-Bewegung können einige oder alle der folgenden Merkmale haben: • biologisch oder biodynamisch angebaute Trauben, mit oder ohne Zertifizierung • keine Weingartenbewässerung • sehr niedere Erträge, handgelesen • keine Zugabe von Zucker, kultivierten Hefen oder fremden Bakterien • keine Anpassung der Säure • keine Zusätze für Farbe, Textur (Mouthfeel), Mineralität etc. • keine Zusätze für Geschmack, auch nicht von neuen Barriquefässern, Eichendauben, Holzchips, Tanninpulver oder flüssigem Extrakt • minimale oder keine Schönung oder Filtration • keine schweren technischen Manipulationen, wie z. B. Mikrooxidation, Umkehrosmose, Spinning Cone Column, Kryoextraktion etc. • < 40 mg/l Gesamtschwefel für Rotwein, < 50 mg/l Gesamtschwefel für Weißwein

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© wegro

 Roman Horvath, MW und Geschäftsführer der Domäne Wachau, lud zu einer Vergleichsverkostung ins Kellerschlössel der Domäne ein: „Natural Wine – Amphoren & mehr …“. Einige der kritischsten Verkoster Österreichs waren anwesend. Jeder hatte eine stark ausgeprägte Meinung zu jedem Wein. Niemals war sich die ganze Runde einig. Die Weine wurden blind in 3er-Flights verkostet, mit jeweils einem konventionellen Wein. Bei jeder Serie war mindestens ein österreichischer Wein dabei. Alle waren Weißweine. Die folgenden Verkostungsnotizen beinhalten nur die „Natural Wines“ und geben nicht die Verkostungsreihenfolge wieder. 

Die Ergebnisse der Verkostung finden Sie in unserer Weindatenbank