Wild oder kultiviert: Welche Hefe ist besser?

Ein Artikel von Julia Sevenich | 07.05.2014 - 00:58

„Wollen Sie uns etwa erzählen, dass der von uns so geliebte Wein einfach das Nebenprodukt des Stoffwechsels von Einzellern ist?”, fragte ein Mitstudent während des Gärungschemie-Kurses. Wir lachten alle, aber: „Ja, das stimmt im Großen und Ganzen so”, antwortete unser Professor.

Wettbewerb der Einzeller

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© Sevenich

Hefen sind einzellige Organismen aus dem Reich der Pilze. Ohne sie gäbe es keinen Wein. Ihre bevorzugte Nahrung ist Zucker, welchen sie in Alkohol, Kohlendioxid und Wärme umwandeln. Traubenmost bei 16 bis 26 °C ist eine zucker- und nährstoffreiche Lösung, die vielen verschiedenen Hefearten ideale Reproduktionsbedingungen bietet. Hefen haben nur eine eingeschränkte Fortpflanzungsperiode und sind höchst kompetitiv.

Sobald die Bedingungen einem Hefestamm besser passen, setzt sich dieser gegen alle anderen durch. Ob die Gärung spontan mit Wildhefen startet oder durch einen Ansatz mit gezüchteten Hefen: Es ist fast immer ein Stamm der Alkohol-und Schwefeldioxid-toleranten Spezies Saccharomyces (meistens cerevisae oder bayanus), welcher die Gärung erfolgreich zu Ende bringt. Während der Traubensaft zu Wein wird, sorgen die Hefen für seinen Duft, den Geschmack, die Textur und den Alkoholgehalt.

Über Tausende von Jahren wurde Wein mittels spontaner Gärung, ausgelöst durch natürlich vorkommende Hefen, produziert. Die gezielte „Impfung” des Mostes mit Zuchthefe ist eine ziemlich neuartige Technik. Manche Winzer behaupten, dass der authentische Ausdruck des Terroirs und des Jahrganges nur durch Vergärung mit natürlichen Hefen möglich ist. Andere bevorzugen die geringere Varianz und damit größere Sicherheit der spezialisierten Hefen. Tatsächlich haben beide, wilde und gezüchtete Hefen, ihre Vor- und Nachteile; diese werden im Folgenden untersucht.

Wildhefen gären selten durch

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Gesunde und saubere Frucht durch Selektion der Beeren minimiert Vergärungsrisiken © Sevenich

In jedem Weingarten leben zahlreiche natürlich vorkommende Hefen. In einer Studie über Spontangärung am Forschungszentrum Geisenheim wurden nahezu 10.000 Hefegattungen identifiziert und isoliert – Saccharomyces cerevisiae machte weniger als 1 % der Population auf den Trauben im Weingarten aus. Auf der Beerenschale, besonders am Stielansatz, dominieren die Gattungen Hanseniaspora und Kloeckera. Diese leiten die Gärung ein, sterben aber ab, sobald der Alkoholgehalt 5 % übersteigt. Dann übernehmen andere Stämme den Gärungsprozess, an dem insgesamt 20 oder mehr verschiedene Hefearten beteiligt sein können. Jene Hefen, welche die Gärung auch ohne gezielte Zugabe zum Abschluss bringen, sind praktisch immer von der Gattung Saccharomyces. Diese finden sich auf Maschinen, Geräten und in der Luft jeder Kellerei, wo einmal mit Reinzuchthefen gearbeitet wurde.

Vorteile von Wildhefen

Einer der Hauptvorteile von Wildhefen liegt im zeitlichen Ablauf der Gärung. Der langsamere Beginn der stürmischen Gärung erlaubt dem Luftsauerstoff Reaktionen mit Anthocyanen und anderen Phenolen (also Gerbstoffen). Dadurch wird die Farbe stabilisiert und die phenolische Polymerisation beschleunigt. Längere Molekülketten verleihen dem Wein ein satteres Mundgefühl. Bei einer langsamen Gärung werden zwar weniger traubeneigene Aromen verändert, allerdings können Schwefelverbindungen als Nebenprodukte entstehen. Kleinere Anteile dieser Schwefelverbindungen werden durchaus als interessant empfunden und oft als „Mineralität” angesprochen, über einem gewissen Schwellenwert gelten sie als Weinfehler. Produzenten von Bio-Weinen und/oder „Natural Wines” sind meistens Verfechter einer non-interventionistischen Philosophie, um möglichst viel Terroir-Ausdruck in ihren Weinen zu erhalten. Diese Philosophie eines Weines ohne Zusätze und Wirkstoffe ist für viele Konsumenten durchaus reizvoll; Begriffe wie „Spontan vergoren”, „Wildhefen” oder „Natürliche Hefen” sind positiv besetzte Schlagwörter im Verkaufsgespräch.

Risiken von Wildhefen

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Auf den Trauben dominierende Hefensterben während der Gärung über 5 %Vol. ab © Sevenich

Das Hauptrisiko der standortheimischen Hefen liegt in verzögertem Gärungsbeginn und begrenzter Vergärungskapazität, also langsamer Gärung. Unzulängliche Hefestämme setzen den Most der Gefahr von bakterieller Verunreinigung, Oxidation, der Bildung von Fehltönen und/oder unerwünschter Komponenten wie Acetaldehyden, biogenen Aminen, Essigsäure und flüchtigen Schwefelverbindungen aus.

Hefepopulationen variieren erheblich von Weingarten zu Weingarten, von Jahrgang zu Jahrgang und von Keller zu Keller. Daher ist es sehr schwierig zu bestimmen, welche Hefen gerade präsent sind – denn alles ist in konstantem Fluss. Die Risiken einer ineffizienten Vergärung können dadurch vermindert werden, dass Traubensaft und Most ein für den gewünschten Hefetyp vorteilhaftes Milieu bieten. Perfekte Keller-Hygiene ist nur eine der Voraussetzungen. Wildhefen sind auch weniger tolerant für SO2 und wärmere Gärtemperaturen.

Seit seiner Umstellung auf biodynamischen Weinbau verzichtet Kurt Feiler vom Weingut Feiler-Artinger in Rust im Burgenland auf Reinzuchthefen: „Ich verwende Kompost und bringe die Trester und Stiele wieder in die Weingärten. Ich bin sicher, dass das bei der Etablierung einer gut gedeihenden und zuverlässigen Hefeflora geholfen hat. Es begünstigt außerdem die Stickstoffbildung und versorgt die Trauben mit den für die Gärung notwendigen Nährstoffen. Verzögerungen am Beginn kann man vermindern, indem man einen Gärungsstarter ansetzt. Man muss aber auch Geduld haben und die Eigenarten jedes Jahrganges akzeptieren. Zum Beispiel ist mein Pinot blanc 2008 halt nur auf halbtrocken durchgegoren.”

Das Weingut Feiler-Artinger produziert nur rund 160.000 Flaschen im Jahr – aufgeteilt auf 25 verschiedene Weine. Daher werden auch nur kleine Gärbehälter verwendet. Falls einmal eine Gärung schief gehen sollte, sind die finanziellen Folgen überschaubar. Bei großen Gärbehältern wären diese Risiken allerdings bedrohlich, egal ob im Einstiegs- oder Premiumsegment.

Vorteile von Zuchthefen

Ein entscheidender Vorteil von gezüchteten Hefen ist ihre Fähigkeit, im Frühstadium der Gärung rasch die dominante Stellung in der Hefepopulation einzunehmen. Die Verwendung einer ausgewählten Saccharomyces-Art sichert eine effiziente und sichere Vergärung. Durch die Verringerung der Gefahr, dass die Gärung steckenbleibt, wird die mikrobiologische Stabilität verbessert und die Bildung von unangenehm riechenden Schwefelverbindungen wie Schwefelwasserstoff reduziert.

Der aktuelle Trend zum längeren Hängenlassen der Trauben am Stock, um höhere physiologische Reife zu erreichen, speziell bei Rotweinen, resultiert in Mosten mit höherem potenziellem Alkoholgehalt und hohen pH-Werten. Letztere vermindern die Wirkung von SO2 und manche Saccharomyces tötet der Alkohol ab, bevor der Wein trocken durchgegoren ist. Kommerzielle Hefestämme wie Lalvin Clos wurden speziell für die rasche und komplette Vergärung in alkohol-und pH-reichen sowie nährstoffarmen Milieus gezüchtet, sind anpassungsfähig an verschiedene Gärtemperaturen und unterstützen den biologischen Säureabbau.

Es gibt zahlreiche Unterarten der Saccharomyces und sie können spezifische Weinstile verstärken. Auf der Shaw and Smith Winery in den Adelaide Hills, Australien, konnte Michael Hall Smith MW zeigen, wie verschiedene Zuchthefen unterschiedliche Aromenprofile in Chardonnay ausbilden – unabhängig vom Jahrgang. Er wählte verschiedene Hefen für verschiedene Weingartenparzellen, um so den Charakter des jeweiligen Stückes Weingartens und seine Mineralität herauszustreichen.

In einem Versuch, die komplexe Aromatik, die bei Spontanvergärung mit Wildhefen entsteht, zu replizieren, hat das Australian Wine Research Institute zwei vorgefertigte Mischungen aus kompatiblen Nicht-Saccharomyces-Stämmen und Saccharomyces cerevisae entwickelt, welche eine gute Vergärungsleistung und Aromenausbildung zeigen. Für die traditionelle Flaschengärung von Schaumweinen wird Zuchthefe zugefügt; diese wird nach ihrer Fähigkeit ausgewählt, auch bei hohen Alkoholwerten weiterzuarbeiten und danach auszuflocken, was das Degorgieren erleichtert. Die Erzeuger von Botrytisweinen nehmen gerne Zuchthefen, die den natürlichen antibiotischen Eigenschaften der Edelfäule widerstehen.

In Nordamerika sind derzeit zwei genmanipulierte Weinhefen zugelassen. Die ML01 initiiert den biologischen Säureabbau gleichzeitig mit der alkoholischen Gärung und unterbindet so die Produktion von Bioaminen (Neurotransmittern) durch Milchsäurebakterien – eine wohl willkommene Entwicklung für Weinliebhaber mit Asthma und Allergien.

Nachteile von Zuchthefen

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Trester von erfolgreichen Gärungen beeinflussen den Hefeflor im Weingarten positiv © Sevenich

Zuchthefen bieten höhere Zuverlässigkeit und Vorhersagbarkeit; ihre Nachteile sind wohl eher im Bereich der Philosophie und des Marketings zu suchen. Sie müssen zugekauft werden, kosten also Geld, aber dieser Nachteil wiegt wenig gegen den möglichen Verlust bei einer fehlerhaften Gärung. Es sind viele verschiedene Hefestämme und ihre Kombinationen auf dem Markt erhältlich und nicht alle sind von der gleichen Qualität. Sie müssen trocken gelagert, dann wieder hydriert und genau dosiert werden, um erfolgreich zu wirken.


Anders als die Gegner von Weinzusätzen werden Winzer, die Zuchthefen verwenden, wahrscheinlich keine philosophischen Argumente dafür vorbringen können; ebenso wenig wie für den Einsatz von Hefenährstoffen oder kommerziellen Hefeprotektoren. Die Erwähnung dieser Zusätze oder die Verwendung einer genmanipulierten Hefe am Etikett wird von Konsumenten bestimmt nicht so positiv aufgenommen wie „ausschließlich mit natürlicher, wilder Hefe vergoren“. Die Bestrebungen, Konsumenten zu schützen und ihnen mehr Information über die Inhaltsstoffe und Verarbeitungszusätze von Nahrungsmitteln zu geben, könnten aber in Zukunft genauere Angaben vorschreiben.

Diskurs

Die Diskussion „Wildhefen oder Zuchthefen” ist vor allem philosophischer Natur. Auf der einen Seite gibt es die Bewegung zu „natürlichen Weinen” und Weinen, die einen authentischen und unverfälschten Ausdruck des Jahrganges und des Terroirs anstreben; Weine aus biologisch angebauten Trauben, verarbeitet ohne Zusätze und mit minimalem oder sogar gar keinem Schwefeldioxid.

Auf der anderen Seite gibt es die Technologie der Reinzuchthefen, die laufend perfektioniert wird, um genau zu gewissen Mosten und Stilen zu passen, und genmanipulierte Hefen, die sogar negative gesundheitliche Auswirkungen des Weinkonsums vermindern können. Abgesehen von diesen grundsätzlichen Fragen hängt die Wahl von wilden oder gezüchteten Hefen vom angestrebten Stil des Weines und von der produzierten Menge ab.

Strengere Bezeichnungsvorschriften werden in Zukunft Weine mit weniger Zusätzen positiver erscheinen lassen, sofern die Konsumenten nicht davon überzeugt sind, dass diese Zusätze ihnen etwas bringen. Welche Option der Winzer auch wählt: Seine Aufgabe liegt darin, sicherzustellen, dass die Hefe seiner Wahl ein Milieu vorfindet, in der sie die Gärung zu dem gewünschten Endergebnis in Bezug auf Stil und Qualität des Weines bringen kann.