Zurück zu mehr Ecken und Kanten

Ein Artikel von Kristina Lutilsky | 10.10.2015 - 22:15
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© Kristina Lutisky

Untergärige Bierstile und Deutschland gehören fest zusammen. Ob es ein Zufall ist, dass die Farben ebendieser Biere so gut zu den Nationalfarben passen? Das Spektrum reicht auf jeden Fall von dunklem Schwarzbier über rötliches Märzen bis hin zum gelben Hellen und Pils. Dabei ist ein heutiges Helles schon lange nicht mehr mit einem Hellen von 1950 vergleichbar.

Was hat sich verändert? Welche Veränderungen sind gut und welche bedauerlich? Wann ist eine Innovation wichtig und wo macht es Sinn, zu alten Rezepturen zurück zu kehren? Diesen Fragen stellten sich am 18. März 2015 über 120 Braukünstler kleiner und mittelständischer Brauereien aus fünf Nationen. Im idyllischen Prößl-Bräu am Adlersberg bei Regensburg kamen sie als „Bier-Quer-Denker“ zusammen, um neue „Wege zu innovativen Bieren“ kennenzulernen. Damit beriefen der Verband der Privaten Brauereien Bayern und das Institut Romeis diesen Kreis bereits zum achten Mal ein. Im Laufe der Jahre standen unter anderem schon fassgereifte Biere, internationale Biere, alternative Getreidesorten, spezielle Hefen und Hopfen im Fokus. Dieses Mal lautete der Titel „Renaissance traditioneller deutscher Biertypen unter dem Motto Schwarz – Rot – Gold“ und war ein ausdrücklicher Wunsch der Teilnehmer, die neben dem Aufkommen experimenteller Craft Biere auch die deutschen Sorten unter die „Innovations- Lupe“ nehmen wollten.

Mit einem Blick auf das Gestern und Heute in Sachenuntergärige Biere in Deutschland führte unter Moderation von Stefan Stang, Geschäftsführer der Privaten Brauereien Bayern, Branchenkoryphäe Prof. Dr. Ludwig Narziß in die Thematik ein. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts erlebte Deutschland eine sogenannte Dünnbierzeit, in der Biere nur wenig Alkohol enthielten und damit auch eher über einen schlanken Körper und eine geringe geschmackliche Ausprägung verfügten. Erst nach 1949 kamen wieder Vollbiere auf den Markt und erlangten zunehmend an Beliebtheit. Den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch und damit die Blütezeit des Bierkonsums verzeichnete Deutschland zwischen 1975 und 1990 (rund 150 Liter pro Kopf und Jahr). Danach sank der Verbrauch jedes Jahr. Heute liegen wir mit nur 105 Litern pro Kopf und Jahr lediglich auf dem Niveau von 1963. Was ist in den Jahren passiert?

Bier verlor über die Jahre an Charakter

In diesem Fall liegt der Hase an mehreren Stellen begraben: Zum einen wurde kräftig eingespart. Aufgrund der Besteuerung nach dem Stammwürzegehalt wurde weniger Stammwürze angestrebt, was auch einen geringeren Alkoholgehalt und dadurch einen neutraleren Geschmack zur Folge hatte.
Parallel dazu setzte man zunehmend auf einige wenige Hopfensorten mit speziellen Eigenschaften, die die Haltbarkeit des Bieres verlängerten – und damit die längere Verfügbarkeit im Markt.

Allerdings wurden die Biere dadurch immer einheitlicher im Geschmack und verloren an ausgeprägter, markanter Bittere. Zum Vergleich: Ein heutiges Pils, der gemäß Definition bitterste, deutsche Bierstil, hat heute weniger Bittereinheiten als ein damaliges Helles. Statt Eigenmalze mit einer größeren Varianz herzustellen, bezog man immer mehr standardisierte Kaufmalze. Der Einsatz getrennter Hefestämme und einer sorgfältigen Hefewirtschaft ließen nach. Außerdem wurde das Brauwasser, das an jedem Standort natürlicherweise etwas anders zusammengesetzt war, entsalzen und vereinheitlicht.

Neben den Kostengründen trug auch der technologische Fortschritt seinen Anteil bei: Die Produktionsschritte wurden immer kürzer und mit ihnen die Zeiträume, in denen sich die unterschiedlichen Aromen im Bier bilden können. Alles in allem führte die Entwicklung dazu, dass die Biere seit Ende des 20. Jahrhunderts immer ähnlicher wurden und die regional typischen Ecken und Kanten verschwanden. Sicherlich ist der Brauvorgang heute wesentlich umweltfreundlicher und die Biere sind länger stabil, aber die geschmacklichen Einbußen können und sollten nach Meinung von Prof. Dr. Narziß durchaus behoben werden.

Renaissance starker Biere aus Deutschland

Die Vorschläge zur Aufwertung deutscher Bierstile waren vielfältig und wurden von Dipl.-Ing. Marcus Jentsch, Institut Romeis, anhand von zwei speziell für die Bier- Quer-Denker eingebrauten Sorten konkret umgesetzt und vorgestellt. Den Malzen wurden mehr Karamellmalze beigemischt, der Hopfen nach alten Rezepturen zusammengesetzt und das Wasser wieder aufgehärtet. Der Brauvorgang wurde in verschiedenen Phasen länger durchgeführt und damit intensivere Aromen begünstigt. Das Ergebnis waren ein charaktervolles deutsches Märzen und ein dunkles Spezialbier, das in der Versuchsbrauerei des Institut Romeis nach Anleitung von Prof. Dr. Narziß entstanden ist. Biersommelier Karl Schiffner aus Österreich führte als dritter Redner in die spannende Welt des Food Pairings ein – wie werden Aromen wahrgenommen, welche Geschmacksrichtungen passen zueinander, welche Kombinationen kann man wagen? Der Appell nach mutigen Innovationen, Ecken und Kanten traf unter den Bier- Quer-Denkern auf große Zustimmung. Viele von ihnen bemühen sich seit Generationen um handwerklich hochwertige und individuelle Biere. Eine Auswahl von Dunklen-, Schwarz-, Rot- und Märzenbieren wurde im Anschluss der Vorträge gemeinsam verkostet. Wir sind gespannt, welches Thema beim nächsten Mal im Mittelpunkt stehen wird!

Verkostungs-Highlights des achten Workshops

Roland AndreDistelhäuser Brauerei: Landbier
Helmut SauerhammerPyraser Landbrauerei: Rotbier
Gerd Fimpel & Markus SchochLandwehr-Bräu: Rotfränkisch
Josef Goss – Brauerei Goss: Märzen
Ralph HohmannBürgerliches Brauhaus Saalfeld: Ur-Saalfelder
Peter KöhlerPrivatbrauerei Hofmann: Fest-Märzen
Volker RöthingerFürst Wallerstein Brauhaus: Landsknechtbier
Peter LangSchlossbrauerei Eichhofen: Spezial Dunkel
Stefan MützelSchlossbrauerei Ellingen: Fürst Carl Dunkel
Andreas StöttnerPrivatbrauerei Stöttner: Schwarzer Pfaff
Willy Riethammer – Prößlbräu Adlersberg: Palmator