Als eine der fünf Grundgeschmacksrichtungen ist „bitter“ zwar buchstäblich in aller Munde, dennoch gilt die herbe Note außerhalb des Bierglases meist als unerwünscht. Bittere Medizin, verbitterte Gestalten und die bittere Wahrheit sind sprichwörtliche Zeugnisse für den dunklen Ruf des fünten Geschmacks, der im kulinarischen Mainstream weit seltener au aucht als süß, salzig, umami oder sogar sauer. Dabei gelten Bitterstoffe als sehr gesund. Sie fördern die Verdauung und sorgen für Konservierung ohne künstliche Zusatzstoffe.
Tatsächlich ist das Vergnügen an der Bitterkeit ein erlernter Geschmack, deshalb finden sich schwarzer Kaffee, Chicoree und Grapefruit auch kaum unter den Lieblingsspeisen von Kindern und Halbwüchsigen. Eindrücklich zeigte das kürzlich ein Youtube-Video, in dem Kleinkindern statt der gewohnten Milchschokolade ein Zartbitterblättchen untergeschoben wurde – die Gesichtsausdrücke sprachen Bände, obwohl die kakaolastige Schokolade noch die sanfteste Annäherung an den ungewohnten Genuss darstellt, der sich dem Gaumen nur dann erschließt, wenn man sich immer wieder darauf einlässt.
Fleischiges und Schokolade
Während sich die fleisch-affine Nachkriegsgeneration beim Gedanken an eine Verbindung von Schokolade und Fleisch noch politisch höchst inkorrekt an die Stirn getippt hätte, erfolgte mittlerweile eine Annäherung von beiden Seiten. Einer der Pioniere in Österreich ist der Blunzn-Weltmeister aus dem Jahr 2000, Franz Dormayer. Die Idee zu einer Schoko-Blunzn hatte der geschmacklich ebenso umtriebige Sohn Markus bereits mit 14 Jahren. „Uns war sofort klar, dass das nur mit Bitterschokolade funktionieren kann“, erzählt Franz Dormayer, „und wie bei allen unseren Produkten haben wir so lange experimentiert, bis wir zufrieden waren.”
Zufrieden waren auch die Kunden. Mit Pfeffer, Piment und einigen Würzgeheimnissen war die zartbittere Blutwurst als Winterprodukt gedacht, doch die Nachfrage hielt übers Jahr hin an. „Wir haben uns damit ein junges Publikum erschlossen, das sonst mit der Blutwurst nicht so viel anfangen könnte“, ist Dormayer überzeugt.
Bald folgte die Chili-Schoko-Blunzn, die dem zartbitteren Aroma noch den perfekten Hauch von Schärfe hinzufügte. Weitere Ideen sind in der Pipeline. ,Bitter’ ist eine geschmackliche Herausforderung”, so Dormayer, „richtig eingesetzt ist ein leichtes Bitterl eine echte Bereicherung, aber schon der kleinste Fehler kann dazu führen, dass es als Fehlgeschmack empfunden wird.”
Auch das traditionell süße Handwerk flirtet mit dem Fleisch. Während die Schokoladenindustrie sich jahrelang gegen Gerüchte wehren musste, denen zufolge Rinderblut aus Preisgründen in der industriellen Schokoerzeugung verwendet würde (mittlerweile schlüssig widerlegt), wagt sich der steirische Schoko-Handwerker Josef Zotter ganz bewusst auf blutiges Terrain.
Die Kombination mit Fleischigem hatte Zotter bereits in der Grammel-Nuss-Kreation zelebriert, doch die tendierte geschmacklich eher Richtung süß. Das „Himbeer-Blut“ dagegen wagt sich mit 70 Prozent Kakao in der Kuvertüre und der frischen Säure von Himbeeren und Kornelkirschen auf das fast schon vergesseneTerrain der intensiven Geschmäcker, obwohl das Blut in der Schokolade hierbei wohl eher ideologische Bedeutung hat. „Ein paar Tropfen“ davon soll dennoch jede Tafel enthalten.
Klassisch bitter: Der Hopfen
Intensiver wird die Bitterkeit durch die Würzung mit Hopfen. Die harzig-herbe Note der alten Kulturpflanze, die wir heutzutage vor allem mit Bier verbinden, bringt außer dem charakteristischen Geschmack noch eine wichtige Eigenschaft mit. Die Bitterstoffe im Hopfen haben antiseptische Wirkung und verhindern das Wachstum von Bakterien. Die heute wieder hoch geschätzte Hildegard von Bingen erwähnte die „Fäulnis-verhindernde” Wirkung des Hopfens erstmals schriftlich, doch die Verwendung als Heil- und Kulturpflanze geht viel weiter zurück. Heute verhilft der Boom in Sachen Convenience Food der altehrwürdigen Bitterpflanze zu neuen Ehren: Als natürliches Konservierungsmittel sorgt der Hopfen nicht nur für haltbare Frische bei vorgeschnittenem Salat, sondern findet sich auch in der Marinade von vorbereitetem Grillgut. Unvertraut ist uns der Geschmack nicht, denn die Biersauce zum Schweinsbraten hat besonders in Bayern und Oberösterreich eine langjährige Tradition.
Eine noch innigere Verbindung zwischen Hopfen und Fleisch schwebte Thomas Bauer vor, als er für seine Fleischerei im niederösterreichischen Bad Großpertholz das Edelhopfenschmankerl kreierte. Der intensiv gewürzte Schweinsschopf mit dem perfekten Anklang von Aromahopfen schmeckt kalt aufgeschnitten oder warm mit klassischen Beilagen wie Erdäpfelrösti oder Krautsalat. „Wir haben zuerst an eine Variante mit Bier gedacht”, erzählt Helga Bauer, „aber der Hopfen selbst gibt den edleren, intensiveren Geschmack.“
Jenseits der klaren Bitterkeit
Vieles, was in der Literatur unter Bitterstoffen verzeichnet ist, gilt in der realen Würzwelt als „Eigengeschmack“, der vordergründig gar nicht als bitter wahrgenommen wird. Darunter fällt etwa der Wacholder, dessen intensiv ätherischer Geschmack aus der Wildküche nicht wegzudenken ist, oder der Kren, bei dem die frische Schärfe den bitteren Grundgeschmack verhüllt. Schon beim steirischen Krenfleisch muss man recht meditativ hineinschmecken, um sich des Anflugs von Bitterkeit bewusst zu werden. Der Krenschinken des niederösterreichischen Schinken-Profis Berger zeigt, dass auch ein zartes Schweinebein mit der eleganten Geschmacksvielfalt der hellen Würzwurzel punkten kann, ohne deshalb gleich in Bitterkeit zu versinken.