2002: Richtig reiner Riesling

Ein Artikel von Günther Hofer | 22.06.2012 - 09:58
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© wegro

Wetterkapriolen und Überschwemmungen dominierten die Schlagzeilen der österreichischen Gazetten. Interessant ist allemal die Frage: Was ist dran am Riesling 2002? Mag. Thomas Klinger vom Weingut Bründlmayer im Rückblick: „Der Jahrgang 2002 wurde damals wegen der unerwünschten Wassermassen heruntergeredet. Wenn man allerdings Grüne Veltliner und Rieslinge eben jenes Jahrgangs verkostet, muss man der damaligen Einschätzung widersprechen. Sie sind filigrane, empfindliche Weine mit hohen Extraktwerten und tiefer im Alkohol, mit einem Wort: Jetzt hervorragend zu trinken.“ 

Klein, aber fein

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Leithners Privat stammt zu 100 % ausder Riede Steinhaus in Langenlois © Hofer

Obwohl die Statistik der ÖWM (Österreichische Wein Marketing) für ganz Österreich ein Ernteplus von 10 % über dem eines Durchschnittjahres aufweist, dürfte sich dieser Mehrwert vor allem auf die Rotweine beziehen. Das Burgenland war ja deutlich wetterbegünstigt. Weißwein wurde jedoch weniger geerntet, vielleicht hat man auch wegen der düsteren Prognosen weniger Wein zur Reifung in die Keller und Schatzkammern gelegt. So ist es nicht verwunderlich, dass bei dieser Heerschau der Rieslinge von 2002 „nur“ 27 Weine eingereicht wurden. Über die Hälfte, ganze 15, kamen aus dem Kamptal. Sehr unterrepräsentier t ist die Wachau. Allerdings traf es diese Region am härtesten. Folglich konnte man bei der Anfrage nach Wachauer Rieslingen 2002 von manchem Spitzenwinzer hören: „Ich habe leider keinen mehr.“ Betrachtet man die Ergebnisse der Verkostung, kann man mit dem Standing der Weine äußerst zufrieden sein. 5-mal die „4 Gläser“ und immerhin 8 Weine mit „3 Gläser“ sprechen eine deutliche Sprache. Die Hälfte des verkosteten weißen Goldes war „exzellent“ oder „ausgezeichnet“.

Wildes Wasser wallt

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Ob Heiligenstein, ob Gaisberg: Michaela und Erich Haasvom Weingut Allram machen faszinierende Rieslinge © Weingut

Nicht nur das Weinjahr 2010 stellte kürzlich eine Herausforderung dar, auch frühere Jahrgänge zeigten es dem Winzer, darunter auch 2002 Nach einem milden, trockenen Winter folgte ein freundliches Frühjahr. Dies hatte einen frühen Austrieb und eine problemlose Blüte zur Folge. Bis auf ein paar Gewitter im Juni schien eitel Sonnenschein zu herrschen, auch in den Stuben der Winzer. Es war ein Reifevorsprung gegenüber normalen Jahren zu konstatieren. Dann aber kam es dick: Kamptal, Kremstal und Wachau wurden von einer Flutkatastrophe fast biblischen Ausmaßes heimgesucht. Nicht nur in den Weingärten mussten verheerende Schäden hingenommen werden. Durch die extreme Zufuhr an Feuchtigkeit stieg der Fäulnisdruck enorm. Obgleich September und der Beginn des Oktobers etwas freundlicher waren, setzte dann wieder dieser verdammte Regen ein. Daher verschob sich die Lese bis Mitte, Ende November. Faule Trauben und Beeren mussten entfernt werden. Ohne eine penible Vorlese ging gar nichts. Nicht nur das Hochwasser richtete enormen Schaden an, im Kremstal war am 3. Juli 2002 eine Riesenhagelwolke von Senftenberg donauabwärts bis Fels gezogen, manche Gärten waren zu 100 % geschädigt. Da hieß es für den Winzer: Ärmel aufkrempeln! Zieht man die Umstände in Betracht, kann man vor den Produzenten nur den Hut ziehen, sie haben einen tollen Job gemacht.

Es korkt

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Der Familienbetrieb Topf reüssiert mit seinen Rieslingen:Magdalena Topf mit ihrem Schwiegervater Johann Topf sen. © Weingut

2002 war auch der Knackpunkt in Österreich in der Frage der Flaschenverschlüsse. Die ersten Top-Betriebe wagten sich an das Verschlussproblem. Sie begannen, Korken durch Schraubverschlüsse zu ersetzen. Dass dies ein notwendiger Akt der Selbstverteidigung war, zeigte die Verkostung. Allein 6 der 27 Weine wiesen einen Korkfehler auf (mehr als 20 %). Leider war oft nur eine Flasche vorhanden, und so erwischte es: Mantlerhof Wieland; Brandl Kogelberg Exclusiv; Brandl Novemberlese; Gattinger Steinriegl Smaragd. Durch die alternativen Verschlüsse wurde in den vergangenen Jahren offenbar Druck auf die Korkhersteller entwickelt, die Zahl der „Stoppler“ in den letzten Jahren ging deutlich zurück.

Lyra als Sonnensegel

Die Lyra aus dem Hause Bründlmayer hatte es in dem Jahr wieder in sich. Thomas Klinger: „Man muss das Gleichgewicht zwischen Wurzelmasse und Laub fi nden. So einen Turbo sollte man vorsichtig fahren.“ Die y-förmige Lyra- Erziehung bietet 3 Vorteile: Die Zweiteilung der Laubwand lässt eine bessere Durchlüftung zu, trockene und gesunde Trauben sind das Resultat. Die Laubwand wirkt wie ein Sonnensegel, es ist mehr Assimilation in den Blättern möglich. Zusätzlich bietet die Y-Form eine bessere Beschattung für die Trauben. Langlebige Weine strebt Thomas Leithner aus Langenlois an. „Sie dürfen in ihrer Jugend ruhig Ecken und Kanten haben.“ Um dieses Ziel zu erreichen, greift er bei der Verarbeitung möglichst wenig in die Weinwerdung ein. Sein so erfolgreicher Riesling Privat stammt aus der Riede Steinhaus (auf reinem Glimmerschieferboden). Die Trauben für den Privat werden rund 14 Tage nach jenen für den Riesling Steinhaus geerntet, immer im November.

Hoch am Heiligenstein

Fast oben am Waldrand liegt der Hektar Weingarten des Weinguts Allram am Heiligenstein. Er konnte von den Metternich‘schen Weingütern erworben werden, wurde neu ausgepfl anzt, da er vorher 30 Jahre brachgelegen war. 2002 war die zweite Lese. Anders als bei Weinen von Schiefer- oder Granitböden ergibt der vulkanische Untergrund in dieser Lage hypermineralische Kreszenzen, die eine dunklere Typizität aufweisen (Nougat, Schokolade, Orange). Anders als der Gaisberg Riesling von Allram lässt der Heiligenstein des Weinguts seine Fans immer etwas zappeln, er braucht länger, um seine Meriten zu zeigen. Zurück in die Wachau, nach Wösendorf zum Weingut Franz Pichler. Der Smaragd, der in der Verkostung Furore machte, der Pfaffenalm, den gibt es nicht mehr. Diese Minilage neben dem Jochinger Kollmitz ist nach Westen ausgerichtet, hat also viele Sonnenstunden. Franz Pichler jun.: „Hier auf dem Grat ist die Humusaufl age auf dem Urgestein minimal, der Wein sehr mineralisch, sehr puristisch.“ Einen separaten Ausbau gab es nur bis 2004, er lohnte sich wegen der Apothekermengen nicht. Heute fl ießen die Trauben teils in den Kollmitz Smaragd, zum Teil in das Riesling Federspiel.

Der gedrehte Weinberg

Eine Lage Spiegel gibt es in vielen Weinorten (z. B.: Langenlois, Gedersdorf). Der Name bezeichnet nach Westen ausgerichtete Gärten, in denen sich die Sonne widerspiegelt. Hans Topf konnte Ende der 1980er Jahre acht Weingärten in der Lage von acht verschiedenen Personen kaufen, die Lage gehört ihm exklusiv. Ein großartiges Projekt war es, den Berg von einer SW-Ausrichtung um 45 Grad in eine SSW-Exposition zu bringen. Hans Topf: „2002 war für uns ein tolles Jahr. Trotz der Flutkatastrophe gab es kaum Bortytis. Meine Rieslinge aus der Lage werden mit Naturhefe spontan vergoren und bleiben bis April auf der Feinhefe.“ Insgesamt macht Riesling 2002 jetzt echt Spaß. Ratsam wäre es demnach, die noch im Keller befindlichen Exemplare von 2002 langsam zu öffnen und zu genießen, außer man hat vor, sie etwa für eine Vertikale aufzubewahren•

Riesling 2002.pur

Thema waren österreichische Rieslinge Jahrgang 2002, diese waren durchwegs trocken ausgebaut. Dank gebührt dem Herbergsvater der Degustation, Michael Müller. Die Verkostung fand im „Vino Vitis“ in Linz (Schauraum von Austro Glas, www.austroglas.com) statt. Es war eine Wucht, in diesen neu konzipierten Gläsern (nur 8 Gramm leicht) zu verkosten. Für wein.pur verkosteten Chefredakteur Alexander Magrutsch, Thomas Werani und Günther Hofer. Das Panel komplettierten Hausherr Michael Müller (Austro Glas) und die Winzer Franz Pichler jun. und Christoph Hoch.

Die Ergebnisse unserer Verkostung finden Sie in unserer Weindatenbank.