Kopf frei machen - wachsen lassen!

Ein Artikel von Alexander Lupersböck | 22.06.2012 - 09:31
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Heurigenseligkeit: gemütlich ja - aber qualitätsfördernd? © Weinland Thermenregion

Kürzlich kam nach einer von mir geleiteten Weinverkostung eine Teilnehmerin auf mich zu: „Ich trinke gerne Rotgip_ er. Was halten Sie von der Sorte? Ist die wirklich gut? Man hört so wenig davon …“ Das ist doch bedenklich: Wieso gehen die beiden einzigartigen Schätze der Thermenregion, Zierfandler und Rotgip_ er, in der allgemeinen Wahrnehmung unter, obwohl sich die ganze Weinwelt auf autochthone Sorten, Unverwechselbarkeit und Gebietstypizität stürzt? 

Welche Thermenregion?

Liebe Leser, ganz ehrlich: Was fällt Ihnen ein, wenn Sie Thermenregion hören – und nicht gerade in der Umgebung von Wien wohnen? Viele von Ihnen werden wohl eher an das südoststeirische Thermenland denken, dass den Wellnessboom der letzten 20 Jahre viel intensiver genützt hat. Obwohl der Bezug auf die seit der Römerzeit bekannten Thermalbäder am Westrand des Wiener Beckens durchaus gerechtfertigt ist. 1985 wurden die recht unterschiedlichen Gebiete Gumpoldskirchen und Vöslau zum Weinbaugebiet Thermenregion, das an der südlichen Stadtgrenze von Wien beginnt und sich Richtung Süden ertreckt, zusammengefasst. An den Abhängen des Wienerwaldes, von Perchtoldsdorf bis Baden (dem ursprünglichen Gumpoldskirchen), dominiert Weißwein, ab Sooß nach Süden und Osten in das Steinfeld (ehemals Vöslau) ist es Rotwein. „Wem der Name ‚Thermenregion‘ damals eingefallen ist, lässt sich heute nicht mehr eruieren. Wahrscheinlich einem Ministerialbeamten, der in den Wirren nach dem Glykolskandal schnell etwas Neues _ nden musste“, glaubt Johann Stadlmann, Vorsitzender des Interprofessionellen Komitees der Region. Damit aber wurde ein erfolgreiches Gebietsmarketing – „Gumpoldskirchner“ und „Vöslauer“ entsprachen auch ziemlich genau de_ nierten Weinstilen, also dem DAC-Gedanken – durch einen unklar umrissenen Begriff ersetzt. Die angesprochenen Thermalbäder waren damals kein Publikumsmagnet, und Wein kommt darin gar nicht vor. An diesen Geburtsfehlern leidet die Region bis heute. Zum Stand der Dinge befragte ich (seit 2000 selbst stolzer Bewohner der Thermenregion) einige Protagonisten der Region und konfrontier te sie dabei mit zum Teil provokanten Thesen.

Das Profil: Wofür steht die Thermenregion?

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Gainfarn bei Bad Vöslau liegt in "einem der großartigsten Anbaugebiete der Welt" © Weinland Thermenregion

„Wehe der Zierfandler stirbt aus, weil sich die bequemen Winzer nicht mit einer unbequemen Sorte beschäftigen wollen.“ Der auch als Spätroter bezeichnete Zierfandler ist gemeinsam mit dem Rotgipfler DIE weiße Sor tenspezialität der Region; er gilt aber als besonders empfindlich und arbeitsintensiv. Außerdem spielt er seine Stärken oft erst nach einigen Jahren der Reife aus. Johann Sperber, der Geschäftsführer des Weinforums Thermenregion, wendet ein: „Durch die Rückbesinnung auf Rotgipfler und Zierfandler wurden Flächen in Gumpoldskirchen und Pfaffstätten wieder in Ertrag genommen, und die Preise sind gestiegen. Aber man muss sich ehrlicherweise fragen: Haben diese Sorten mengenmäßig irgendeine Marktrelevanz?“ Das muss man sich angesichts der Zahlen tatsächlich fragen: Rotgipfler steht auf 100 ha, Zierfandler auf 78 ha. Johanna Gebeshuber und ihr Mann Johannes konzentrieren sich seit einigen Jahren auf ihrem Weingut Spätrot ausschließlich auf die Leitsorten der Region: Zierfandler und Rotgip_ er in Weiß sowie St. Laurent und Pinot noir in Rot. „Jedes gute Weinbaugebiet hat eigene Sorten, und unsere gibt es nirgendwo sonst auf der Welt! Das zu pflegen, ist für uns eine Pflicht! Die Weinwelt honoriert das dann auch. Obwohl man gerade den Zierfandler auch in sogenannten einfachen Jahren 5-mal umdrehen und die ohnehin geringen Erträge noch reduzieren muss. Diese Konzentration auf das Wesentliche macht den Kopf frei!“ Bernadette Steurer-Weinwurm, die mit ihrer Agentur „die zwei Marketing“ Weingüter und Verbände der Thermenregion betreut: „Die Thermenregion hat kein übergeordnetes Konzept und kein Image für Wein. Und wenn, dann gelten sie oft noch als süß.“ Der Vorsitzende des Regionalen Komitees, Georg Schneider: „In der Wachau bekomme ich in jedem Weinbaubetrieb die gleiche Story erzählt: Es gibt drei Weinkategorien, Urgesteinsterrassen und die Sorten Grüner Veltliner und Riesling. Das kann ich in zwei Sätzen transportieren. So einfach ist das bei uns nicht. Aber dort, wo klare Fokussierung besteht, geht es.“ Bestes Beispiel: die Gruppe „Die Burgundermacher“ aus dem „roten“ Steinfeld. Sie konzentriert sich auf St. Laurent und Pinot noir – und hat damit Erfolg. Beide Sorten haben seit 1999 massiv zugelegt, St. Laurent um 70 %, Pinot noir um 35 %. Schneider: „Der Imageaufbau geht nur über eindeutige Aussagen. Und da sind wir uns mittlerweile einig, dass dies die Leitsorten Zierfandler, Rotgipfler, St. Laurent und Pinot noir sind. Dafür haben wir die besten Voraussetzungen: Lage, Böden, Klima und auch die Geschichte.“ Johann Stadlmann ergänzt: „Auch ein Geschmacksprofil wurde erarbeitet und angewendet. Zierfandler und Rotgipfler sind im trockenen Spätlesebereich am besten. Unsere Weine sollen Länge und Struktur haben, aber nicht zu wuchtig sein.“ Georg Schneider kann sich einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen: „Der Geschmack ist Moden unterworfen, das betrifft ganze Gebiete; die Thermenregion hat unter dem starken Trend zu trockenen Weinen nach dem Glykolskandal 1985 sicher gelitten. Aber auch die Medien haben ihren Anteil: Wenn man gerade nicht ‚in‘ ist, wird man ignoriert.“ Da wiederum hat wein.pur-Medienberaterin Sigrid Kügerl (ebenfalls eine Bewohnerin der Thermenregion) einen Einwand: „Je besser eine Region organisiert ist und wo es einen Ansprechpartner gibt, desto eher kann sie auch medial begleitet werden. Das ist noch ausbaufähig.“ Das leitet uns zum nächsten Kapitel:

Tourismus: brachliegende Schätze

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© Weinland Thermenregion

In der Region schlummert beträchtliches touristisches Potenzial: Die vielen Industrie- und Gewerbebetriebe ziehen Geschäftsreisende an, etliche Hotels haben sich auf Seminargäste spezialisiert, das Kultur- und Wellnessangebot in unmittelbarer Nähe zu Wien wächst kontinuierlich. Aber, so Bernadette Steurer-Weinwurm: „Die touristische Vermarktung der Region mit Kulinarik, Wandern, Kultur und Wellness war bisher kaum aktiv, weil die Schnittstelle nicht besetzt war. Das Angebot ist groß, wurde aber kaum kommuniziert.“ Vielleicht fehlt ja auch ein gewisser Leidensdruck? Georg Schneider: „Wirtschaftlicher Druck ist eher selten. Es gibt viele Einzelinteressen und Gruppierungen, teilweise auch politisch unterlegt; jede für sich sicher berechtigt, aber wenn sie nicht alle in eine Richtung zielen …“ Das führte dazu, dass Weintouristen keine richtige Anlaufstelle gefunden haben. Wer sich für Wein interessierte, musste bisher individuell vorgehen. Durch die Gestaltung des Freigutes Thallern als weintouristisches Zentrum mit Gebietsvinothek, Hotel, Gasthaus und Seminarangebot machte ein auswärtiger Privatinvestor Erich Polz aus dem bekannten steirischen Weingut – möglich, was lokale Interessen nicht zustande gebracht haben. Bernadette Steurer- Weinwurm: „Es ist sicher schwer, den Durchblick zu behalten: Wer mit wem? Ein Quereinsteiger geht unvoreingenommener an die Sache heran und tut sich da oft leichter.“ Johann Stadlmann: „Ich setze viele Hoffnungen in das Zugpferd Thallern – aber das ist kein karitativer Verein. Als Privatunternehmen ist es der Region nicht unmittelbar verp_ ichtet. Da muss schon noch einiges mehr kommen. Der Tourismus ist jedenfalls wichtig und in allen Überlegungen gut vertreten.“

Heurigenseligkeit: Feind des Besseren?

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© Weinland Thermenregion

„Die Einheimischen wollen beim Heurigen ein Achterl Wein um nur einen Euro trinken – obwohl die Thermenregion eines der wohlhabendsten Gebiete Österreichs ist …“ Zugegeben, eine ziemlich polemische Aussage, aber ein Fünkchen Wahrheit steckt dahinter. Wobei ausdrücklich nicht die Handvoll exzellenter Betriebe gemeint ist, deren Qualitätsund Preisniveau sich zu Recht mittlerweile auf dem gehobener Restaurants bewegt. Johann Stadlmann: „Keine Frage, beim durchschnittlichen Heurigen erwartet der Gast, dass er billig essen kann. Für die Masse spielt auch das Essen die Hauptrolle, die wollen keine € 10,– für eine Flasche Wein ausgeben.“ Spinnen wir den Gedankenfaden weiter: Zu salzig-würzigem Essen passen gut Weine, die nicht ganz trocken sind. Mit ein paar Gramm Restzucker können auch eventuelle kleine Schwächen im Wein kaschiert werden. Dann erspart sich der Winzer die letzten, aber extremen Anstrengungen, die notwendig sind, um aus einem guten einen hervorragenden Wein zu machen. Er verkauft seinen Wein so oder so beim Heurigen. Der Heurige: Feind der besseren Qualität? „Glückseligkeit herrscht beim Heurigen sicher nicht“, widerspricht Georg Schneider, „allerdings zeigen manche Weingärten erhöhten Handlungsbedarf.“ Johann Sperber, realistisch: „Viele sind Heurigenwirte von ganzem Herzen – muss man mit Wein immer Unsterblichkeit anstreben?“ Bernadette Steurer-Weinwurm: „Eine Positionierung im gehobenen Segment wäre aber schon wünschenswert. Die Frage muss erlaubt sein: Brauche ich Pangasius beim Heurigen? Das Denken ist nicht nachhaltig genug ausgerichtet. Wer Geld braucht, steckt halt früher aus.“ Vielleicht könnte eine Kategorisierung der Heurigenbetriebe dem auswärtigen Gast Orientierung bieten. Johann Stadlmann: „Das gab es in Traiskirchen schon einmal, ist aber eingeschlafen. Jedenfalls sollten die qualitativ guten Betriebe irgendwie herausgehoben werden.“ Die Dominanz der Heurigen(un)kultur lässt der „normalen“ Gastronomie wenig Luft zum Atmen. Stadlmann: „Die hat es tatsächlich schwer. Aber ich verstehe die beleidigten Reaktionen mancher Gastronomen nicht, die sagen: Deinen Wein nehme ich nicht, weil Du mir mit dem Ausstecken Konkurrenz machst. Wenn sich alle bewusst wären, in einer Weinregion zu leben, hätten wir alle mehr davon.“

Initiativen: Was tut sich?

„Der Generationswechsel in vielen Weingütern bringt wieder Bewegung: Die Jungen wollen was machen und besser zusammenarbeiten. Sie wollen ein klares Profil für die Region erstellen.“ Viele der derzeitigen Probleme sind nicht Thermenregion- spezifisch; aber es gibt Beispiele, wo kleinräumiges Denken zum Wohl des Gebietes überwunden wurde. In Österreich seit Jahren ein Dauerbrenner: die Schaffung eines DAC. Johann Sperber meint: „Die Begeisterung dafür ist enden wollend.“ Johann Stadlmann: „Das wird sehr schwer, weil unser Gebiet zweigeteilt ist; und von den Leitsorten haben wir einfach zu wenig. Ich finde es sozial nicht verträglich, wenn vom ganzen Werbebudget dann vielleicht 15 Betriebe wirklich profitieren.“ Georg Schneider ist vorsichtig optimistisch: „Immerhin haben wir uns auf die Leitsorten und deren Pro_ le geeinigt. Die Schaffung eines DAC könnte auch eine völlige und hoffentlich logische Neustrukturierung des Gebietes mit sich bringen. Aber: Das wird noch lange brauchen.“ Eine gute Nachricht: Für den Tourismus wird eine neue Stelle geschaffen, sie ersetzt die ARGE Weinstraße. Und damit gibt es erstmals einen Koordinator für alle touristischen Belange der Region Wienerwald-Thermenregion Den zuständigen Personen ist zu wünschen, dass sie die hochgesteckten Erwartungen erfüllen können, denn oft werden an solche Stellen wahre Heilserwartungen geknüpft. Aber da Tourismus Wienerwald-Thermenregion mit der Unterstützung aller Beteiligten rechnen darf, könnten auch einfach scheinende Aktionen endlich realisiert werden. Zum Beispiel die billigste und effektivste Werbung überhaupt: Große Hinweisschilder entlang den Autobahnen, wie sie in Frankreich gang und gäbe sind. Sie werden täglich von zigtausend Menschen wahrgenommen und schaffen bei den Bewohnern der Region ein erhöhtes Bewusstsein – ein Effekt, der sich potenziert. Johann Stadlmann: „Leider scheiter te es bisher auch an mangelnder Unterstützung – nicht der Regionalpolitik, sondern der Ebenen darüber. Eine Institution schiebt die Verantwortung auf die andere und so immer im Kreis herum. Ich _ nde jedenfalls, Wienerwald ist leichter zuzuordnen als Thermenregion und hätte kein Problem damit, die Bezeichnung ‚Wienerwald-Thermenregion‘ auf meine Etiketten zu schreiben.“ Die Weinbaupolitik setzt Initiativen für Qualitätssteigerung und biologischen Weinbau. Klonenselektion- und Züchtung für die Leitsorten rücken in den Fokus, „um das Erlebnis der Böden, den Geschmack des Gebietes zu steigern“. Das Weinfestival Thermenregion im Frühjahr und die Veranstaltung „Kostbare Thermenregion – die Top 100“ im Herbst haben sich als Leistungsschauen etabliert. Auf der diesjährigen „VieVinum“ stellt sich die Region mit ihren Leitsorten speziell vor. Johanna Gebeshuber: „Ich spüre, dass sich etwas tut. Das Gefühl, gemeinsam etwas machen zu wollen, ist sicherlich gewachsen.“

Die Thermenregion in fünf Jahren

Wünsche an die berühmte gute Fee – wie stünde die Thermenregion in fünf Jahren da, wenn wir in einer perfekten Welt leben würden? Allen gemeinsam ist der Wunsch nach mehr Regionalbewusstsein; die vielen Zuzügler aus Wien wissen oft gar nicht, wo sie nun leben. Bernadette Steurer-Weinwurm: „Jeder soll stolz auf seine Region sein, wissen, wofür sie steht und ein einheitliches Bild vermitteln. Dadurch soll der Name ‚Thermenregion‘ in ganz Österreich mit Wein in Verbindung gebracht werden.“ Georg Schneider: „In fünf Jahren hat die Thermenregion eine Identität, die auch von der Presse als eigenständig wahrgenommen wird.“ Johann Stadlmann: „Wieder mehr gemeinsam machen und Schwung in den Tourismus bringen, denn das hätte eine positive Rückkopplung auf die Bekanntheit unserer Weine.“ Das schönste Plädoyer hält Johanna Gebeshuber: „Man muss sich einsetzen und auch den schweren Weg gehen, um dem Gebiet seinen Stellenwert zu geben. Denn die Thermenregion ist eines der großartigsten Weinbaugebiete der Welt. Hier arbeiten und leben zu dürfen, sind ein Geschenk und eine Verpflichtung. Hier wächst wirklich guter Wein – aber man muss ihn auch wachsen lassen•“

Thermenregion.Info

 2.196 ha (1.188 Weiß, 1.007 Rot) Die wichtigsten weißen Sorten: Neuburger 10 %, Grüner Veltliner 8 %, Weißburgunder 6 %, Rotgipfler 4,5 % Die wichtigsten roten Sorten: Zweigelt 13 %, Blauer Portugieser 12 %, St. Laurent 7 %, Pinot noir 5 %  Weinforum Thermenregion 2500 Baden Pfaffstättner Straße 3 Tel. 05/0259/48400 www.weinland-thermenregion.at   Wienerwald Tourismus GmbH 3002 Purkersdorf Hauptplatz 11 Tel. 02231/62176 www.wienerwald.info  

Mehr Informationen über die Thermenregion auch bei Wein-Plus