Jede Perle ein Genuss

Ein Artikel von Jan Czerny | 24.02.2010 - 00:00
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© IStock Photo

as Einschenken eines Weizenbieres ist schon fast eine rituelle Handlung. Wenn Zuschauer dabei sind, ein Happening. Man muss aufpassen, dass man nicht nach einem Putzlappen greifen muss, wenn sich die Kohlensäure explosionsartig entbindet. Schön lässt sich die Bildung des Schaums beobachten, der sich zu einer stabilen, sämigen und strahlend weißen Krone entwickelt. Gerade beim Kristallweizen lassen sich die CO2-Perlen, die an Sekt erinnern, im Glas schön verfolgen. Champagnerweizen, so hieß Kristallweizen früher bis der Name 1973 verboten wurde, denn die EU-Herkunftsbezeichnung Champagner ist für französischen Schaumwein geschützt.

Glanzklarer Geschmack

Hefeweizen entwickelt mitunter überschäumende Aktivitäten. Schuld ist die edle Hefe, die, genau wie beim Champagner, durch Gärung und anschließender Lagerung für verschärfte Perlung und beim Ungeübten für Panik beim Einschenken sorgt. Schauen wir uns die Charakteristik eines Kristallweizens einmal genauer an. Kristallweizen hat einen erfrischenden, nicht hopfenbetonten Geschmack und eine etwas säuerliche Note mit weichem, mildem Ausklang. Seine Farbe schwankt zwischen hell- und goldgelb, je nach Malzsorte. Von der Biergattung her ist es ein obergäriges Vollbier mit elf bis 13 Prozent Stammwürze und dadurch 4,6 - 5,9 Prozent Alkohol. Kristallweizen ist filtriert und dadurch glanzklar. Dies ist der große Unterschied zu dem weit verbreiteten Hefeweizen. Es ist mit obergäriger Hefe vergoren, die bei Temperaturen von 15 bis 20 Grad Celsius den Gärprozess einleitet. Der Weizenmalzanteil beträgt mehr als 50 Prozent, der Rest ist Gerstenmalz. Aufgrund des höheren Kohlensäuregehalts im Vergleich zu untergärigen Bieren hat Kristall eine kräftige Schaumentwicklung und eine höhere Rezenz, die eine angenehme Frische vermittelt. Die Geschichte von Kristallweizen ist natürlich gekoppelt an die Geschichte des Weizenbieres allgemein. Vor dem Reinheitsgebot wurde mit dem Getreide gebraut, welches zur Verfügung stand. Meist Gerste, regional abhängig vermehrt Dinkel (Schwäbische Alp, Brauerei Dinkelacker in Stuttgart), zum Teil Roggen und manchmal Weizen, sofern nach dem Brotbacken welcher übrig war. Durch das Reinheitsgebot im Jahre 1516 wurde der Gebrauch von Weizen zum Bierbrauen untersagt, da es ein wertvolles Brotgetreide war. Weizenbiere durften danach nur noch in königlichen Brauhäusern in Bayern gebraut werden. Nachdem Weizenmalz ins Reinheitsgebot übernommen wurde (mit der Bedingung, dass es mit obergäriger Hefe gebraut wird), wurde diese Biersorte schnell vor allem in Bayern beliebt. Auch in Baden-Württemberg begannen die Brauer sehr früh damit, eine eigene Weizenbiertradition aufzubauen. Als Lorenz Enzinger aus Worms 1878 einen Filtrierapparat für Bier erfunden hatte, gab es bald darauf die ersten Kristallweizen, klar im Aussehen, reiner im Geruch, geschmeidiger beziehungsweise eleganter im Geschmack.

Mit Zitrone oder Reiskorn?

Mich hat nunmehr interessiert, warum Kristallweizen mit diesen positiven Eigenschaften keinen Siegeszug gestartet hat. Nach den ersten Degustationen von Kristall kam ich auf den Geschmack. Teilweise recht fruchtig (Reste der Aromen der obergärigen Weizenhefe), alle ziemlich spritzig und dadurch erfrischend und belebend, eine leichte Säure wie bei Äpfeln, schlanker und dadurch eleganter als ein Hefeweizen, vom Aussehen her ansprechend klare Gelbvarianten und dadurch einladend und auch ehrlicher als ein hefetrübes Weizen.Mit oder ohne Zitrone und/oder Reiskorn ist leider auch noch oft die Frage, wenn man in der Gastronomie ein Kristallweizen bestellt. Ich antworte mit einem klaren Nein, aber es gibt Biertrinker, die wünschen sich die Zitrone im hefefreien Kristallweizen, um dessen spritzigen Geschmack zu betonen. Unter der Zugabe einer Zitronenscheibe leidet jedoch die Schaumhaltbarkeit und der Eigengeschmack wird stark beeinträchtigt (mal ganz vom Thiabendazol abgesehen, welches auf den Schalen konventioneller Zitronen darauf wartet, dem Gaumen noch den letzten Kick zu geben). Das Reiskorn bringt die Kohlensäure rascher zum Entbinden und macht das Bier dadurch schneller schal im Geschmack.Am Anfang, als ich die Recherchen für diesen Artikel startete, war Kristallweizen ein recht unbeschriebenes Blatt für mich im Gegensatz zu Exoten wie Barley Wine, Trappisten Bieren, Lambics, Porters, IPAs und wie sie noch so heißen. Ich trank ab und zu eines, weil die Auswahl in der Gastronomie bescheiden war, aber ein Weizen sollte für mich halt schon trüb sein. Mittlerweile habe ich diese unterschätzte Biersorte lieben gelernt. Der feinere, klare Charakter des Kristallweizen mit der gleichen Spritzigkeit wie sein großer Bruder Hefeweizen, das schöne klare Aussehen mit ansprechend kräftigen Gelbtönen im klassischen Weizenglas, die lebendige stabile Schaumkrone und der sämige Abgang beim Verkosten, all dies schreit nach mehr.Traut euch, liebe Brauer, uns mehr von dieser obergärigen Randsorte zu liefern. Auch als Leicht- oder Starkbier, vielleicht öfters mal in einer 0,33-Literflasche, mit einer ausgeprägteren Aromahopfennote, mit mehr Restsüße und Fruchtesterbetonung, als dunklere Variante, mit leichtem Rauchmalzanteil, wer weiß …Und an alle Bierliebhaber und Genussmenschen: Traut euch, diese feine Biersorte zu erkunden. Wahre Schätze lassen sich dort ausgraben in Bezug auf ein sehr bekömmliches, spritziges, elegantes, schlankes und vor allem wohlschmeckendes Bier.

Fakten.

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© Wegro

In Deutschland gab es 2008 insgesamt 1.319 Braustätten, davon entfallen auf Baden-Württemberg 186. Der Sortenanteil von Weizenbieren in den Brauereien in Baden-Württemberg lag bei 15 Prozent.Meiner Recherche nach produzieren zirka zwölf bis 17 Prozent der Braustätten in Baden-Württemberg Kristallweizen. Also entfallen zwei bis drei Prozent des Bierabsatzes in Baden-Württemberg auf Kristall.

Kristallweizen-Tipps.

 > Trinkempfehlung.
Am besten schmeckt Kristallweizen aus den speziellen hohen, schön geschwungenen Weizengläsern, weil sich darin beim Einschenken die biereigene Kohlensäure besonders gut zu einer wahrhaft majestätischen Schaumkrone entwickelt.
Zum stilgerechten Genuss eines Kristalls gehört das korrekte Einschenken. Das Glas mit kaltem Wasser ausspülen, schön schräg halten und den Flaschenhals außerhalb des Glasrandes halten, damit er nicht in Berührung mit dem Bier kommt (wer weiß was die Flasche auf dem Transport schon alles mitmachen musste …) und vorsichtig einschenken. Neueinsteigern ist das Bereitlegen von Wischlappen trotzdem empfohlen, denn auch hier macht Übung den Meister.
Wie alle obergärigen Biere trinkt man Kristallweizen nicht zu kalt, damit sich alle Aromen gut entfalten können.
Auch beim Kristallbiertrinken gibt es "gute Umgangsformen": So stößt man mit dem Weizenbierglas nur unten am Glasfuß an.

 > Essensvorschläge.
Ideal schmeckt Kristall zu Salaten, Fisch und etwas schärferen Speisen. Durch seine Spritzigkeit ist es auch ein idealer Durstlöscher nach sportlicher Aktivität.

Kristallweizen verkostet.

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© Wegro

Die Ergebnisse der bier.pur Kristallweizenverkostung finden Sie in der untenstehenden Verkostungtabelle zum Download!