Lebkuchen im Spätherbst

Weil Vorfreude einfach besser schmeckt

Ein Artikel von Gerald Stiptschitsch | 24.10.2025 - 09:30
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Kaum sind die letzten Badegäste vom See verschwunden, riecht es im Supermarkt schon verdächtig nach Weihnachten. Zwischen Kürbissen und Halloween-Deko tauchen sie plötzlich auf: Lebkuchenherzen, Zimtsterne, Spekulatius. Und während man innerlich noch am Sommer hängt, läuten Zimt, Nelke und Honig bereits die Backzeit ein. Warum eigentlich?

Der Lebkuchen ist viel älter, als die meisten glauben. Seine Wurzeln reichen bis ins Mittelalter – genauer gesagt nach Nürnberg, wo im 14. Jahrhundert die ersten professionellen Lebküchner tätig waren. Damals war das Gebäck weniger Nascherei als Luxusgut: Exotische Gewürze wie Muskat, Nelke, Ingwer oder Zimt kamen über teure Handelsrouten aus dem Orient und waren kostbar wie Gold. Nur zu besonderen Anlässen wurde so verschwenderisch gebacken – und das bedeutete: zur Adventszeit.

Hinzu kam ein theologischer Twist: In der 40-tägigen Fastenzeit vor Weihnachten sollten Christen auf tierische Produkte verzichten. Fett, Butter oder Milch waren tabu – Honig, Mehl und Gewürze dagegen erlaubt. So entstand ein süßes Fastengebäck, das nicht nur den Gaumen, sondern auch das Gewissen beruhigte. Ein Hauch von Verzicht, der trotzdem schmeckte.

Die Lebkuchenbäcker, besonders jene in Nürnberg, perfektionierten über die Jahrhunderte ihre Kunst. Sie gaben dem Teig Mandeln, Orangeat oder Nüsse hinzu, verfeinerten ihn mit Honig und bewahrten ihn wochenlang, damit die Aromen reifen konnten. Das machte den Lebkuchen nicht nur haltbar, sondern unverwechselbar – würzig, duftend, ein bisschen geheimnisvoll. Kein Wunder also, dass er bis heute als das Weihnachtsgebäck schlechthin gilt.

Doch während früher der Duft von Lebkuchen den Beginn des Advents markierte, riecht es heute schon Ende Oktober nach Zimt und Nelke. Die Industrie ist schneller als der Kalender – und die Kunden kaufen’s. Der Griff zum Lebkuchenherz im Spätherbst ist fast schon Ritual. Vielleicht, weil man sich mit jedem Bissen ein Stück Vorfreude gönnt. Oder weil wir alle ein bisschen anfällig sind für Zucker, Nostalgie und Kindheitserinnerungen.

Ganz egal, ob selbst gebacken oder im Supermarktregal entdeckt: Lebkuchen ist mehr als nur ein Keks. Er ist ein kleines Stück Kulturgeschichte – ein Symbol für Genuss, Geduld und den Duft von Weihnachten in der Luft. Und auch wenn der Advent noch auf sich warten lässt, darf man ruhig schon mal naschen. Schließlich kann man ja sagen, man testet nur die Qualität.

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Das Geheimnis des Lebkuchens

Lebkuchen ist nicht gleich Lebkuchen. Der berühmteste kommt aus Nürnberg – dort darf sich nur Nürnberger Lebkuchen nennen, was tatsächlich aus der Stadt stammt. Seit 1996 ist der Name sogar EU-geschützt.

Seine besondere Würze verdankt das Gebäck einer Mischung aus Zimt, Anis, Nelke, Koriander, Ingwer und Muskat – also fast einer kleinen Weltreise an Aromen. In früheren Zeiten waren diese Gewürze so teuer, dass man sie in kleinen Dosen wie Edelsteine aufbewahrte.

Ein weiterer Trick: Guter Lebkuchenteig darf reifen – manchmal über Wochen. So entfalten sich die Gewürze und verbinden sich mit dem Honig zu diesem typischen, tiefen Aroma, das sofort nach Advent duftet – selbst, wenn draußen noch die Kastanien blühen.