Vom Hausbaum zum Superfood 

Holunder neu entdeckt

Ein Artikel von Gerald | 09.08.2025 - 17:24
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© Nataliia Sokolovska/Shutterstock

Seit Jahrhunderten ranken sich Mythen um den Schwarzen Holunder (Sambucus nigra), dessen duftende Blüten und tiefdunklen Früchte den Menschen ebenso betören wie stärken. Nach altem Glauben schützt der Holunder Haus und Hof und gilt als Sitz guter Geister. Wer ihn fällt, so mahnt der Volksmund, lade das Unglück ein. Tatsächlich suchte der Holunder schon immer die Nähe des Menschen: Man findet ihn an alten Höfen, hinter Scheunen, entlang von Waldsäumen oder an Wegrändern. Als Wildobst ist er anspruchslos, robust und wächst auch an schwierigen Standorten, solange dort ein gewisser Stickstoffgehalt im Boden vorhanden ist. Er gehört zu den Pionierpflanzen, die selbst unwirtliche Plätze begrünen. Seine Wurzeln verlaufen flach, doch seine Wirkung reicht tief: sowohl spirituell in den alten Bräuchen als auch ganz praktisch in der modernen Gesundheitslehre.

Ein Holunderstrauch kann bis zu 100 Jahre alt werden und schützt somit Generationen. Seine Äste, von einer mit den Jahren immer rissigeren Borke umgeben, sind innen von einem markigen Kern durchzogen – ein weißes, weiches Gewebe, das einst von Uhrmachern und Juwelieren zur Reinigung filigraner Arbeiten genutzt wurde. Der Strauch wächst schnell und kann Höhen von bis zu zehn Metern erreichen. Ab Mai zeigen sich seine berühmten weißen, angenehm süß duftenden Scheindolden, die nach dem phänologischen Kalender den Frühsommer einläuten. Sie ziehen nicht nur Bienen und Insekten an, sondern auch kreative Köche, die aus ihnen aromatische Sirupe, Gelees oder Tees bereiten. Doch auch getrocknet bewahren sie lange ihre Wirkung und ihr betörendes Aroma. Im Spätsommer entwickeln sich aus den Blüten die sogenannten Beeren – genau genommen handelt es sich dabei um Steinfrüchte –, die sich in ein tiefes Blauviolett bis Schwarz färben und in dichten Dolden am Strauch hängen. Vögel lieben sie roh, doch Menschen sollten sie nur gekocht verzehren, da die rohen Früchte schwach giftig sind. Erst durch Erhitzen werden die enthaltenen Glycoside zerstört und das Wildobst genießbar.

Die gesundheitliche Bedeutung des Holunders ist heute wissenschaftlich gut erforscht. Sowohl die Blüten als auch die Früchte enthalten eine Vielzahl bioaktiver Substanzen. Die dunklen Beeren sind wahre Vitalstoffpakete. Sie enthalten reichlich Vitamin C und verschiedene B-Vitamine sowie eine beachtliche Menge an Mineralstoffen wie Kalium, Magnesium, Phosphor und Eisen. Hinzu kommen sekundäre Pflanzenstoffe wie Flavonoide, Anthocyanglykoside, Aminosäuren, Phenolsäuren, Triterpene, Schleim- und Gerbstoffe. Diese Kombination macht den Holunder zu einem natürlichen Verbündeten gegen virale Infekte, oxidativen Stress und zur Stärkung des Immunsystems. Die Anthocyane wirken dabei als besonders starke Antioxidantien und sind maßgeblich für die dunkle Färbung der Früchte verantwortlich. Gerade in den kühlen Monaten ist Holundersaft oder -sirup ein altbewährtes Hausmittel gegen grippale Infekte. Seine antivirale und entzündungshemmende Wirkung wird zunehmend auch in der Naturheilkunde und Forschung geschätzt.

Die Blüten des Holunders, oft als Tee getrunken oder in Kräutermischungen integriert, zeichnen sich durch ihre schweißtreibende Wirkung aus, was sie zu einem klassischen Mittel bei fieberhaften Erkältungen macht. Ihre ätherischen Öle unterstützen die Schleimlösung in den Atemwegen, was bei Husten, Bronchitis oder Nebenhöhlenproblemen hilfreich ist. Gleichzeitig wirken sie mild beruhigend und helfen, das Immunsystem zu stabilisieren. Die Gerbstoffe in den Blüten ziehen Gewebe zusammen und wirken dadurch entzündungshemmend auf Schleimhäute. Ein Holunderblütentee mit Honig ist daher ein ebenso simples wie wirkungsvolles Mittel bei Erkältungen oder als wohltuendes Abendritual.

Kulinarisch ist der Holunder eine Entdeckung für alle, die regional und saisonal genießen möchten. Holunderblüten lassen sich in Palatschinkenteig tauchen und in Butterschmalz goldgelb ausbacken – ein Klassiker der österreichischen Sommerküche. Auch Holunderblütengelee oder selbstgemachter Sirup erfreuen sich großer Beliebtheit, nicht zuletzt als Zutat für sommerliche Cocktails oder zum Aromatisieren von Mineralwasser. Die Früchte wiederum eignen sich hervorragend zur Herstellung von Marmelade, Mus, Kompott, Saft, Likör oder sogar Fruchtleder. Auch in Wildgerichten oder Chutneys machen sie mit ihrer tiefen Fruchtigkeit eine gute Figur. Bei der Verarbeitung ist wichtig, die Stiele und unreifen Früchte sorgfältig zu entfernen, da sie höhere Konzentrationen an Sambunigrin enthalten, das zu Übelkeit führen kann. Einmal gekocht, verwandeln sich die Früchte jedoch in ein wahres Superfood.

Auch in der Landschaftsgestaltung ist der Holunder ein Gewinn. Er bietet Lebensraum und Nahrung für zahlreiche Vogelarten und Insekten. Seine Blütezeit deckt sich mit dem Flug vieler Bestäuber, und seine Früchte dienen im Spätsommer als wichtige Nahrungsquelle für Wildtiere. Im naturnahen Garten ist er deshalb nicht nur ästhetisch reizvoll, sondern auch ökologisch wertvoll. Als Windschutz, Sichtschutz oder natürlicher Zaun lässt er sich vielseitig einsetzen. Besonders in bäuerlichen Gärten galt er als heiliger Baum, dem man mit Respekt begegnete. Selbst das Verlassen des Hauses ohne sich zuvor kurz vor dem Holunder zu verneigen, galt mancherorts als unhöflich.

So steht der Holunder exemplarisch für jene Pflanzen, die nicht nur eine lange Geschichte haben, sondern auch in unserer modernen Welt ihren Platz behaupten. Er verbindet alte Mythen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, Hausmittelwissen mit kulinarischem Genuss, Gartenfreude mit nachhaltiger Gesundheit. In einer Zeit, in der Regionalität, Naturverbundenheit und Selbstfürsorge wieder an Bedeutung gewinnen, ist der Holunder aktueller denn je. Ob als schützender Hausbaum, als Superfood oder als Heilkraut: Der Holunder ist ein treuer Begleiter – tief verwurzelt in unserer Kultur und dennoch voller Leben für die Gegenwart.

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© AGfoto/Shutterstock

Rezepte mit Holunder

Holunder lässt sich vielseitig einsetzten, ob als Holunderblütensirup, gebackene Holunderblüten, Holunderbeerensaft, Hollerkoch oder Kompott. Die österreichische Küche kennt viele Rezepte mit den Blüten und Beeren des heimischen Wildobstes. Viele davon sind in Vergessenheit geraten. 

Hollerkoch
Ein selbst zubereitetes Hollerkoch ist eine wahre Vitaminbombe, die sich wunderbar einkochen und auf Vorrat zubereiten lässt.

Zutaten:
• 1–2 Äpfel
• 300 g Holunderbeeren
• 60 g Feinkristallzucker
• 1 Prise Zimt
• 1 Schuss Rum (optional)
• 1 TL Zitronensaft
• ½ Pkg. Vanillepuddingpulver

Zubereitung:
1. Äpfel schälen, entkernen und klein würfeln. Holunderbeeren abrebeln, Stielreste und grüne Früchte sorgfältig aussortieren.
2. 300 ml Wasser mit Zucker, Zimt, Äpfeln und Holunderbeeren aufkochen und 10 Minuten kochen lassen.
3. Vanillepuddingpulver mit 2 EL kaltem Wasser glatt rühren. Rum und Zitronensaft zum Hollerkoch geben und angerührtes Puddingpulver miteinrühren. Nochmals unter Rühren kurz aufkochen, damit es bindet.

Holunderblütentee bei Erkältung
Für einen selbst aufgebrühten Holunderblütentee können Sie sowohl frische, als auch getrocknete Holunderblüten verwenden. Letztere werden am besten in einem Papiersäckchen an einem kühlen Platz aufbewahrt.

Zutaten:
• 1 Handvoll frische oder 2 TL getrocknete Holunderblüten
• 300 ml Wasser
• 2 TL Zitronensaft
• 1 TL Honig 

Zubereitung:
1. Holunderblüten in eine Tasse geben und mit dem kochenden Wasser aufgießen. 10 Minuten ziehen lassen.
2. Abseihen und mit Zitronensaft und Honig verfeinern.