Eine fast verkannte Wurst

Ein Artikel von Birgit Kowarik | 13.12.2021 - 16:00
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© Herbert Lehmann

In Österreich ist die Kantwurst sprichwörtlich in aller Munde, wohingegen sie in anderen deutschsprachigen Ländern höchstens als eine der Salami ähnliche Wurstspezialität bekannt ist. Bereits seit den 50er-Jahren ist die Kantwurst in den heimischen Regalen ein fixer Bestandteil. Wer letztendlich diese Spezialität erfunden hat, ist und bleibt ein Geheimnis. Die Kantwurst zählt wie die Salami zu den Rohwürsten und besteht zu zwei Dritteln aus Rind- oder Schweinefleisch sowie zu einem Drittel aus Speck. Auch die Putenkantwurst gewinnt immer mehr an Popularität. In der Herstellung werden Magerfleisch und Speck vermengt und in wasserdurchlässige Faserdärme gefüllt, die sich zum Räuchern eignen müssen.
Ihre charakteristische Form erhält die Kantwurst durch die einwöchige Vorreifung in einer Presse, woher auch der Name Kantwurst stammt, und nicht – wie manchmal irrtümlich behauptet – vom Aufklärer und Philosophen Immanuel Kant. Ihre quadratische bis rechteckige Form hat nicht nur einen hohen Wiedererkennungswert, sondern sie eignet sich auch zum Verstauen in eckigen Jausen-Behältern. Danach folgt die Kaltrauchphase, meist über Buchenholz. Während der Nachreifungs- und Trocknungsphase verliert die Kantwurst bis zu 30 Prozent an Gewicht. In dieser letzten Phase vervollständigt sich auch ihr typisches, leicht säuerliches Geschmacksbild. Im Gegensatz zur vielen Salamis findet man bei einer Kantwurst keinen Reifebelag (Edelschimmel), und auch in der Zusammenstellung ihrer Würzung gibt es Unterschiede. Salz, Pfeffer, Knoblauch, aber auch orientalische Komponenten wie Kardamom und Koriander verleihen ihr den letzten Schliff.

Die perfekte Kantwurst
Äußerlich unterscheiden sich Kantwürste kaum durch etwaige auffällige Farbschattierungen. Mahagonibraune bis beigefarbene Hüllen vermitteln vielmehr einen gediegenen Eindruck. Auch die verschiedenen Formate verbergen keinesfalls Qualitätsunterschiede, sondern spiegeln die Präferenzen der Hersteller wider. Das unverwechselbare quadratische bis rechteckige Schnittbild ist das klar erkennbare Markenzeichen der Kantwurst. Je nach verwendetem Rohmaterial, etwaiger Zusatz- und/oder Farbstoffe sowie dem Grad der Abtrocknung sollten drei bis vier Millimeter große geschrotete und pökelrote Partikel und Speckteilchen, die gleichmäßig verteilt sind, erkennbar sein. Eine angenehme zartsäuerliche Aromatik, begleitet von zarten Knoblauch- und Koriandernoten, wobei sogar ein sehr dezentes Rum-Aroma erwünscht sein kann, sowie eine abgerundete Buchenholzrauchnote lassen schon erahnen, wie es am Gaumen weitergeht. Das Geruchserlebnis setzt sich im Geschmack fort; die Salzung wird durch eine leichte Säuerung und Pökelfleischnote ergänzt. Salz sollte sich allerdings nicht vordrängen, wohingegen eine leichte Schärfe durchaus ihren Reiz haben kann. Im Biss ist die perfekte Kantwurst mäßig fest und voluminös am Gaumen, jedoch nicht zu elastisch. Ein cremiges Mundgefühl, das durch den Fettanteil unterstützt wird, trägt ebenfalls zur kulinarischen Vollendung bei. Und weil sich auch die geschmacklichen Vorlieben der Konsumenten in den vergangenen Jahrzehnten verändert haben, ist ein eindeutiger Trend  in Richtung weicherer Konsistenz erkennbar.

Was nicht gewollt ist
Natürlich sind auch Negativbeispiele zu finden, auf die Genießerinnen und Genießer achten sollten, wie Fehler in der Zusammensetzung oder Trocknung, die eine nach außen gebogene Oberfläche, einen Trocken- und/oder Räucherrand, ein ungleichmäßig verteiltes Fettgewebe, Fasern oder Knorpel, Farbfehler sowie einen zu elastischen Biss zur Folge haben können. Hinsichtlich der Defizite in der geruchlichen und geschmacklichen Wahrnehmung findet man am ehesten einen flachen Geschmack, zu viel Säuerung und Salzigkeit oder den Eindruck einer Brühwurst, was bei zu hohen Temperaturen beim Räuchern entstehen kann. Gut zu wissen ist, dass optische Unzulänglichkeiten nicht unbedingt zu einer Einschränkung des Geschmackserlebnisses führen müssen. So kann die Kantwurst mit einem Trockenrand am Gaumen trotzdem geschmeidig sein.

Die Bewertungen – Harmonie ist Trumpf
In gewohnter Tradition wurden der erfahrenen fünfköpfigen Jury 18 Kantwurst-Kandidaten präsentiert. Für den fachlichen Hintergrund zeichnete Fleischexperte DI Wolfgang Wernert verantwortlich. Zuerst erfolgte die optische Begutachtung der Exemplare, danach die neutrale Zuteilung der Farbtöne, wobei es sich generell um mahagoni- bis beigefarbene Farbunterschiede handelte. Auch bei den unterschiedlichen Größen oblag es dem Auge des Betrachters, welches Format persönlich ansprechend war. Bewertet wurden die Gleichmäßigkeit der Körnung im Anschnitt, Aroma, Bissfestigkeit, Saftigkeit sowie die Harmonie der jeweiligen Gewürzkomponenten. Harmonie ist überhaupt das Schlagwort bei dieser Wurstverkostung gewesen. Es ging weniger darum, wie geschmacklich ausgefallen oder nachdrücklich-intensiv die einzelnen Produkte sind, sondern eher um eine noble Zurückhaltung bei der Würzung sowie um die Balance des charakteristischen säuerlichen Profils. Eleganz und Feinheit im Geschmack wurden daher großgeschrieben.
Ganz diesen Anforderungen entsprechend gingen mit hohen Bewertungen ex aequo als Sieger die Kantwürste von der Fleischerei Brigitta Gattringer-Kerzig aus Traismauer in Niederösterreich und vom Rohwurstspezialisten Loidl aus St. Stefan im Rosental in der Steiermark hervor. Beide Kantwürste vereinen eine hervorragende Bissfestigkeit, eine harmonische Würzung sowie eine zarte Reife­aromatik. Den dritten Platz teilten sich zwei Exponate aus demselben Haus: die Spar „Natur Pur“-Bio-Kantwurst und die „Gourmet“-Kantwurst von Reiter aus Eberschwang in Oberösterreich. Auch diese Produkte glänzten mit Balance und Harmonie in ihrer Komposition. Die Plätze fünf bis zwölf lagen punktemäßig sehr eng zusammen. Abzüge am Ende des Feldes gab es für ein unsauberes Schnittbild, einen zu elastischen Biss, zu viel Salz und Pfeffer, ein trockenes Mundgefühl sowie für zu intensive säuerliche Aromen. Zusammenfassend konnten jedoch die Vertreter dieser österreichischen Wurstspezialität auf allen Linien überzeugen.

Die Ergebnisse unserer Verkostung lesen Sie in der aktuellen Ausgabe von ZEIT FÜR GENUSS.

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