Exquisit, ausgefallen, vielfältig

Ein Artikel von Birgit Kowarik | 27.04.2022 - 17:00
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Die Bezeichnung „Spezialschinken“ wird man im Lebensmittelcodex vergeblich suchen. Im Marktgeschehen versteht man jedoch darunter Kochpökelwaren beziehungsweise Kochschinken, die unter Zusatz von Pflanzenteilen oder auch Gemüsestücken sowie optional mit passenden Aromen hergestellt werden. Spezialschinken kommen auch saisonal oder ereignisbezogen auf den Markt, wie beispielsweise der „Hahnenkammschinken“ im Winter oder der Bärlauchschinken im Frühling. Als Bioprodukt oder auch fettarm mit nur zwei Prozent Fettgehalt kann dieser ebenfalls in die „Spezial“-Kategorie eingeordnet werden.

Kleine Schinkenkunde
Unter den fachlichen Begriff Kochpökelware oder auch Kochschinken fällt Schinken aus großen, gewachsenen Teilen vom Schlögel, die in Formen, Hüllen oder Netze gefüllt oder gelegt und vor dem Genuss durcherhitzt werden. Ein bedeutendes Merkmal des Schinkens ohne Bein ist die natürliche Speckschwarte, die auch als Geschmacksträger am Gaumen ihre Wirkung entfaltet. Es gibt allerdings auch meist industrielle Hersteller, die auf diese natürlich gewachsene Schwarte verzichten. An ihrer Stelle wird oftmals eine Speckschwarte auf mageres Fleisch gepresst. Diese ist dann nicht so fett wie eine natürlich gewachsene Schwarte. Der Trend ging jedenfalls bis vor Kurzem eindeutig in Richtung magerer Schinken, da Fett vom Konsumenten häufig immer noch als ungesund eingestuft wird. Eine Reminiszenz an die meist aus den USA stammenden Verirrungen in den Ernährungsempfehlungen der 80er- und 90er-Jahre des vorigen Jahrhunderts.
Um dem Schinken seinen feinen Geschmack, die Saftigkeit und Zartheit zu verleihen, wird das sogenannte Spritzpökelverfahren angewendet. Hierbei werden, bezogen auf die Größe des schlachtwarmen Schinkenfleisches, etwa 15 bis 20 Prozent Pökelsalz (Kochsalz und Nitrit) unter Zusatz von Polyphosphaten als Lake eingespritzt. Zur Ausnahme zählen Bioprodukte, da diese ohne Phosphate hergestellt werden und dadurch grobfasriger und etwas trockener sein können. Der Kochschinken wird in der Regel tatsächlich in einer Kochform gegart und eventuell auch auf einem Gitterrost geräuchert und/oder angebraten. Die Erhitzung im Kern erfolgt bei mindestens 68 Grad, und nach einer Kühlung ist der Kochschinken essfertig. Qualitativ hochwertige Erzeugnisse werden bei der Herstellung in die Form „handgelegt“ und sind im Anschnitt am ganzen, zugeschliffenen Schlögel erkennbar.
 
Nicht nur optisch ein Hingucker
Eines vereint wohl alle Kochschinken: Der ansprechende pökelrosa Anschnitt inspiriert Nase und Gaumen, das Exemplar so schnell wie möglich näher kennenlernen zu wollen. Der milde Geruch, die feine Textur gepaart mit Saftigkeit und nicht zu viel Salz bringen dem Kochschinken nicht umsonst eine Sonderstellung unter den Kochpökelwaren ein. Umso mehr lässt traditionelle Handwerkskunst die Besten der Besten in einem besonderen Glanz erscheinen. Qualitativ darf man bei Kochschinken ruhig von den höchsten Ansprüchen ausgehen, zumal es sich nicht – wie bei der Wurst – um zerkleinertes Muskelfleisch handelt, sondern um ganze Teile des Fleisches.
Ausgehend von diesen Grundvoraussetzungen werden bei Spezialschinken geschmacksprägende Komponenten zugesetzt, wie beispielsweise Pfefferkörner, Trüffelauszüge oder Kürbiskerne. Bereits optisch weisen die meisten Spezialschinken auf ihre Besonderheit hin, da die Oberfläche mit den jeweiligen Gewürzen und/oder pflanzlichen Bestandteilen belegt ist. Die Kunst ist es, diese geschmackstechnischen Booster harmonisch in das urtümliche Geschmacksbild des Kochschinkens zu integrieren. Der Schinken sollte eine eigene individuelle Note erhalten, ohne dabei auf seine positiven Eigenschaften wie den typischen zartfleischigen Geschmack, die Saftigkeit und seinen mürben Biss verzichten zu müssen. Auf mögliche, wenn auch selten auftretende Mängel sollte man jedoch beim Genuss achten: gröbere Farbfehler, ungleichmäßige Salzverteilung, Luftlöcher, Trockenheit, zu langes Kochen, zerfallende Struktur sowie Überwürzung oder auch eine zu neutrale beziehungsweise intensive Würzung. Beachtet man diese Punkte, so steht beim Spezialschinken einem Geschmacksfeuerwerk nichts mehr im Wege.

Kreativität und Handwerk sind gefragt
Neun fachkundige Köpfe bewerteten bei dieser Verkostung 20 Spezialschinken-Kandidaten. Die fachliche Expertise vom Fleischexperten DI Wolfgang Wernert lieferte in bewährter Art und Weise die Grundlage zur Theorie. Bereits die optische Begutachtung der Exemplare war ein Fest für die Sinne. Ja nach Thema präsentierten sich die Schinkenteile von einem dezenten Beige bis hin zu Orange oder Gelbgrün. Bewertet wurden die Gleichmäßigkeit des Schnittbildes, Aroma, Bissfestigkeit, Saftigkeit, die Harmonie der Gewürze sowie das Mundgefühl. Insbesondere war das Zusammenspiel zwischen dem traditionellen Schinkenhandwerk und dem Einsatz der verwendeten themenspezifischen Gewürzkomponenten gefragt. Im Optimalfall bildete diese Kombination eine Symbiose, die den Schinken geschmacklich auf eine neue Ebene hob, ohne dabei das eigentliche Spezial-Thema aus den Augen zu verlieren. Dieser Anspruch wurde bei fast allen Exponaten voll und ganz erfüllt.
Generell war das Niveau dieser Spezialschinkenverkostung sehr hoch. Die besten zwölf Produkte bewegten sich ausschließlich auf fünf- beziehungsweise vier-Sterne-Niveau. Mit der höchstmöglichen Punktezahl (ein Novum) von 5,0 ging als Sieger der gebratene Beinschinken der Fleischerei Christian Hausenberger aus Vösendorf in Niederösterreich hervor. Dieser Spezialschinken überzeugte die Jury mit seinem herrlichen Bratenaroma und einer perfekten Textur voll und ganz. Nur knapp dahinter teilen sich punktegleich die drei Hersteller den zweiten Platz mit 4,9 Punkten, denen es gelang, die jeweiligen Themen in ihrer Vollendung zu präsentieren. Die Karreerose „Red Chili“ von Rudolf Frierss & Söhne aus Villach brillierte mit einer rauchig-runden Chilischärfe, der Wacholderschinken der Fleischerei Josef Scheiterer aus Enzersfeld in Niederösterreich überzeugte mit einem unglaublich harmonischen Wacholderbeerenaroma und der Trüffelschinken der Fleischerei Gissinger aus 1160 Wien gewann die Jury mit seiner feinen Trüffelaromatik und Saftigkeit.
Abzüge am anderen Ende der Ergebnisskala gab es primär für grobe Farbfehler, einen zähen Biss, ein trockenes Mundgefühl, zu neutrale Würzungen oder für intensive Süße oder säuerliche Aromen. Zusammenfassend ist auf alle Fälle festzuhalten, dass sich das Handwerk der heimischen Schinkenproduzenten auf Weltklasseniveau bewegt.


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