Vier gewinnt

Ein Artikel von Barbara Kunze | 14.04.2015 - 23:29
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© Shutterstock/Mark Skalny

Es liegt in der Natur des Menschen, Dinge zu bewerten und nach Präferenzen zu ordnen. In der kulinarischen Welt hat – neben zahlreichen eher konservativen Guides wie Michelin und Gault Millau – vor allem eine Liste mediale Aufmerksamkeit erlangt: the world’s 50 best restaurants. Gesponsert wird das Ranking von Acqua Panna und S. Pellegrino, darum ist auch oft nur von der „Pellegrino-Liste“ die Rede. Zwölf Mal hat das internationale Tester-Team bestehend aus 1.000 Köchen, Gastronomen und Restaurantkritikern bereits geurteilt. Dabei scheinen besonders kreative und forschungsaffine Köche die Nase vorn zu haben. Um dem nachzugehen, habe ich innerhalb eines Jahres die Top-Vier der Liste besucht.

Editor´s Ranking

Mein persönliches Fazit vorab: Alle Erfahrungen waren toll und ganz speziell. Abschiedsgeschenke und ein persönliches „Hallo“ vom Küchenchef sind nett, aber nicht unbedingt notwendig, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Satt war ich immer, betrunken nie. Was auch daran liegt, dass ich Restaurants dieser Kategorie lieber zu Mittag besuche, sofern das Menü das Gleiche ist. Müsste das Essen für sich alleine sprechen, wäre das Menü im El Celler di Can Roca mein Favorit. Das Gericht, das mich am meisten beeindruckt hat, ist die Sonnenblume im Eleven Madison Park. Die beste Getränkebegleitung waren die Säfte im Noma. Hier habe ich mich auch am willkommensten gefühlt, besonders bei der Küchenführung. Der Küchenchef mit dem meisten Charisma ist für mich Massimo Bottura. Mein persönliches Ranking lautet daher: El Celler vor Noma vor Eleven Madison vor Osteria Francescana. Mal sehen, was die Pellegrino-Tester sagen – die neue Liste erscheint am 1. Juni 2015.

Noma, Kopenhagen, Dänemark (September 2013)

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© Noma

Eines gleich einmal vorweg: Noch nie habe ich mich in einem Restaurant – schon gar nicht in dieser Preisklasse – so herzlich willkommen gefühlt wie im Noma. Mitarbeiter aus aller Welt – derzeit aus 22 Nationen – stehen Spalier, um die ankommenden Gäste freundlich zu begrüßen. Sie verbreiten das, was man in vielen hochpreisigen Restaurants vergeblich sucht: eine legere, unverkrampfte Stimmung. Zufall oder nicht – die ersten Gänge werden mir von einer Tirolerin serviert, das macht die Atmosphäre gleich noch einmal so heimelig.

Das Noma (Abkürzung für nordisk mad = nordische Küche) hat sich ganz den lokalen Lebensmitteln verschrieben. Was die acht angestellten Gärtner nicht selbst anbauen oder sammeln, kommt von befreundeten Produzenten. Ob fermentierte Birnen, frittiertes Moos, knusprige Schweineschwarte im Schokomantel oder nach Zitronengras schmeckende Ameisen – ich bin begeistert, was man aus den lokalen Zutaten zaubern kann (im GENUSS. MAGAZIN 06/2013 habe ich schon einmal detaillierter über die Menüfolge berichtet). Das selbst gebackene Brot mit Jungfrauenbutter wird regelmäßig nachgebracht. Hungrig geht man also sicher nicht nach Hause – bei 24 Gängen im Überraschungsmenü ohnehin keine Gefahr. Die Stimmung wird von Gang zu Gang immer ausgelassener. Alle Gäste essen, wie aufgefordert, mit den Fingern, reichen Teller zum Teilen herum, kuscheln sich in die Schaffelle auf ihren Stühlen und stören sich nicht an der Unisex-Toilette. Die Gerichte werden teilweise von den Köchen persönlich serviert und erklärt – die Saucenflecken auf ihren Kochjacken machen sie nur noch sympathischer. Jeder Mitarbeiter hat wirklich Spaß an der Sache und das überträgt sich auf die Gäste. Als ich gegen Ende des Essens ein Foto vom leeren Gastraum schieße, springt mir ein Kellner in Superman- Pose ins Bild.

Mein persönliches Highlight im Noma ist übrigens die Saftbegleitung. Was da – Understatement pur – als Rhabarbersaft oder Quitteninfusion präsentiert wird, ist das Ergebnis überraschend vieler Zutaten und akribischer Arbeit. Davon kann ich mich bei einer ausgedehnten Küchenführung überzeugen. Köchin Andrea gewährt mir nicht nur Einblicke in die Vorbereitungsküche, sie stellt mir auch René Redzepi vor, der in der Versuchsküche im ersten Stock gerade eine Lieferung Waldpilze entgegen nimmt und an einer riesigen Tafel an den Beilagen für ein Wildentengericht tüftelt. Redzepi ist aber nicht das einzige Mastermind im Noma. Jeden Samstagabend ist Projekttag, bei dem alle Köche angehalten sind, eigene Kreationen zu präsentieren. Wer einen Grund braucht, Kopenhagen einen Besucht abzustatten: Das Noma ist eine absolute Empfehlung! Die Reservierung im nur 45 Plätze fassenden Restaurant ist den Nervenkitzel wert. Wer spontan und unkompliziert ist, kann sich auf die Warteliste schreiben lassen oder sich auf einen „shared table“ mit einem oder mehren Unbekannten einlassen.

Osteria Francescana, Modena, Italien (April 2014)

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© Osteria Francescana

Im Vergleich zu René Redzepi wirkt Massimo Bottura rein äußerlich wie ein wilder Hund. Graumeliertes Wuschelhaar, verwegener Vollbart, verschmitztes Lächeln, Hipster-Brille, hochgekrempelte Jeans, dazu Turnschuhe – nur die weiße Kochjacke verrät seinen Beruf. Dagegen erscheint seine Wirkungsstätte, die Osteria Francescana in Modena, beinahe spießig: schön, aber sehr gediegen, mit gestärkten Tischdecken und minimalistischen Bildern an den Wänden. Das Servierpersonal mit streng zurückgekämmtem Haar, Anzug und Krawatte wirkt wie die personifizierte Werbung für eine Gastronomie-Fachschule. Der erste Höhepunkt ist das frisch gebackene Brot: noch warm und gesalzen. Wer längere Zeit in Italien verbracht hat, weiß, wie selten das hier ist. Kaum droht die flaumige Krume zu viel an Temperatur zu verlieren, wird auch schon der ganze Brotkorb erneuert. Hoffentlich findet sich in der Osteria anderweitig Verwendung dafür, sonst wäre das anstatt Service am Gast banale Verschwendung. Wer mag, kann auch à la carte speisen. Ich fahre lieber meine „Wenn-schon-denn-schon-Strategie“ und wähle das Menü „Sensations“, das im Vergleich zum Menü „Traditions in Evolution“ experimenteller sein soll.

Tatsächlich, für Italien kann man die Gerichte beinahe wagemutig nennen. Sensationell zarte, mit Shrimps gefüllte Teigtaschen werden mit Linsen und einer Emulsion aus Cotechino – einer traditionellen Schweinekochwurst – serviert, die Streifenbarbe nach Livorneser Art mit Pulver aus Tomaten, grünen und schwarzen Oliven camoufliert. Mehr als satt verlasse ich die Osteria – die Petits Four werden mir netterweise eingepackt und versüßen mir die Heimfahrt nach Österreich am nächsten Tag. Ein Geschenk gibt es auch noch: Aceto balsamico aus Modena, speziell für Bottura produziert.

Was mich allerdings nicht los lässt: Wie ist Bottura wirklich? So jugendlich wie er sich gibt oder so erwachsen wie sein Restaurant eingerichtet ist? Ich erfahre es einige Monate später, als ich im Zuge des Salone del Gusto in Turin einen Workshop bei ihm buche. Der dynamische, manchmal fahrig wirkende Bottura kann schon vor der Show keine Sekunde lang still stehen. Als sein Mikrophon eingeschaltet wird, merkt er es nicht einmal. In väterlichem, richtig zärtlichem Ton spornt er in der Küche sein junges Team an. Sein „subito“, das mit zunehmendem Stress immer öfter fällt, hört sich an wie ein gehauchtes „Hab dich lieb“, auch wenn es eigentlich „sofort“ bedeutet. Es wird gescherzt, geherzt und gelacht. Zum Schluss lässt Bottura seine Brigade auf die Bühne kommen, stellt einen nach dem anderen vor und lüftet dann noch das süße Geheimnis, auf welches Mädel es sein Souschef abgesehen hat – errötende Gesichter inklusive.

El Celler di Can Roca, Girona, Spanien (Juni 2014)

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© El Cellar

Die drei Brüder Jordi, Josep und Joan Roca bewirten ihre Gäste so gut, dass alle Tische für die nächsten elf Monate ausgebucht sind. Mittlerweile kann man zwar online reservieren, das bringt aber nur den halben Spaß im Vergleich zum auf Spanisch geführten Reservierungstelefonat. Hat das jetzt wirklich geklappt? Irgendwann, nach der in Spanien angemessenen Zeit von ein paar Monaten, wird aber tatsächlich auch noch schriftlich bestätigt.

Die Roca-Brüder haben das Restaurant ihrer Eltern an die kulinarische Weltspitze gebracht. Der moderne Neubau unweit des alten Restaurants setzt auf enorm viel Glas, die Präsentation der Speisen auf ausgefallenes Geschirr gepaart mit einem gehörigen Aha-Effekt und die Weinbegleitung auf spannende Raritäten kleiner Produzenten. Den Auftakt macht ein Oliven-Bonsai-Bäumchen, an dem Anchovis-gefüllte, karamellisierte Oliven baumeln. Anschließend schickt Juan Roca eine ganze Armada an Amuse-Gueules, die das Motto „Reise um die Welt“ bedienen, bevor es mit dem eigentlichen Menü los geht. Mit einer grandiosen Viennetta aus weißem Spargel kann ich mein Kindheitstrauma, was dieses Industrieeis betrifft, endlich aufarbeiten – die Trüffelscheibe darauf mag geholfen haben. Meine weiteren Höhepunkte: Salat aus Seeanemonen, Schwertmuscheln und Seegurken, stilecht serviert in einem Seeigel aus Porzellan. Am Tisch über Sherrygedämpfte Langostinen. Ein wunderschönes Mandala aus Artischocken, Bauch und Bries vom Milchlamm, verziert mit Tupfen von verschiedenen Wurzelgemüsen, Mandarinen und Spinat, gekrönt von bunten Blüten. Spektakulär wird es, als Eis aus Sauerteig und Kakao-Fruchtfleisch auf einem pulsierenden Etwas serviert wird, das einen gärenden Sauerteigklumpen repräsentieren soll. Eine nette Idee, aber viel wichtiger: Es schmeckt! Das gilt übrigens auch für die von Josep Roca zusammen gestellte Weinbegleitung die von der iberischen Halbinseln dominiert wird - nur die Mosler J.J. Prüm und Egon Müller dürfen mit von der Partie sein. Abschließend der Auftritt des Dessertwagens, der in den Verantwortungsbereich von Jordi Roca fällt: Bunt verziert, als wäre er Charlies Schokoladenfabrik entwendet worden, beherbergt er mehr süße Versuchungen als auf den Teller passen, der zum Teilen in die Mitte des Tisches gestellt wird. Satt ist man durch die vielen Gänge ohnehin schon, auch mit dem Brotnachschub wird hier nicht gegeizt. Die Völlerei hält mich aber dennoch nicht davon ab, gleich am nächsten Tag der Rocambolesc Gelateria in Gironas Altstadt einen Besuch abzustatten. Die Gebrüder Roca verkaufen hier nämlich das Spargel-Trüffel-Eis. Und außerdem Eis aus Karotten, Bier, Parmesan und Toastbrot mit Olivenöl.

Eleven Madison Park, New York, USA (Juli 2014)

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© Eleven Madison Park

Das Eleven Madison Park ist das einzige der Top-Vier-Restaurants, in dem ich den Chefkoch – hier Daniel Humm – nicht angetroffen habe. Fairerweise muss man sagen, dass ich zu Mittag da war. Selbst bei Tageslicht wirken die hohen Räume und die Einrichtung elegant, aber streng, daran können auch die mannshohen Blumengebinde wenig ändern. Der herzliche Service und der erste Cocktail lassen das ehrfurchtsvolle Gefühl aber schnell verfliegen. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem man ein Jausenmesser in die Hand gedrückt bekommt, mit dem man aus kleinen Kärtchen ein Symbol – Erdbeere, Sellerie, Kaffee oder Kirsche – herausdrücken soll. Warum, wird nicht verraten. Dann geht es los mit der französischen Küche aus lokalen Zutaten gepaart mit Anspielungen an die New Yorker Esskultur.

Wer wie ich die berühmten „Black and White- Cookies“ nur aus Serien wie Seinfeld kennt, mag mit den Varianten aus der Eleven Madison Bäckerei recht wenig anfangen können. Schmecken tun sie aber trotzdem. Zugänglicher ist die mit rohem Thunfisch umwickelte und auf einen Thunfisch-Knochen gespießte Polenta. Bestes Fingerfood! Zum akkurat angerichteten Pastrami-Sandwich gibt es selbst gemachte Soda Pops – für mich mit Kirschgeschmack. Brot und Butter werden erst gegen Mitte der Menüfolge serviert – als eigener Gang. Neben satt gelber Butter aus Vermont gibt es auch weiße Ziegenmilchbutter. Mein persönliches Highlight ist aber der nächste Gang. Ein Kellner präsentiert die schönsten Sonnenblumen, die ich je gesehen habe, ein zweiter serviert, was in Humms Küche daraus gemacht wird: Die Sonnenblumen werden wie Artischocken entblättert, geputzt und geschmort, woraufhinder essbare Boden mit Topinambur und einem Salat aus Sonnenblumenkeimlingen serviert wird. Das ist wirklich einmal etwas Neues! Wobei ich auch noch nie ein 100 Tage trocken am Knochen gereiftes Ribeye Steak hatte, das als nächstes folgt. Bei den Desserts sticht besonders der am Tisch gegrillte Pfirsich heraus, es gibt auch noch einmal etwas mit Kirschen, als Geschenk selbst gemachtes Müsli „für das Frühstück morgen“ und am Weg hinaus noch einen Tipp: „Erzähl dem Hot Dog-Verkäufer vor der Tür, dass du grade hier essen warst.“ Gesagt, getan. Sekunden später halte ich ein Wassereis mit Eleven Madison-Logo in der Hand. Sowas von New York!

Adressen

El Celler di Can Roca:
E-17007 Girona, Can Sunyer 48,
Tel.: 0034 972 222 157, www.cellercanroca.com

Eleven Madison Park:
USA-10010 New York, Madison Avenue 11,
Tel.: 001 212 8890905, www.elevenmadisonpark.com

Noma:
DK-1401 Kopenhagen, Strandgade 93,
Tel.: 0045 3296 3297, www.noma.dk

Osteria Francescana:
I-41121 Modena, Via Stella 22,
Tel.: 0039 059 223912, www.osteriafrancescana.it

Rocambolesc Gelateria:
E-17001 Girona, Carrer de Santa Clara 50,
Tel.: 0034 972 416667, www.rocambolesc.com